Überparteiliches Frauennetzwerk in Jena
Über den beispielhaften Zusammenschluss von Politikerinnen für mehr Vereinbarkeit
Geht es um Vereinbarkeit, Sitzungskultur oder die Organisation von Care-Arbeit, ist die jeweilige Parteizugehörigkeit irrelevant. Ganz im Gegenteil: Wesentliche Verbesserungen können insbesondere dann erreicht werden, wenn Politiker*innen über Parteigrenzen hinweg zusammenarbeiten und sich gemeinsam engagieren für bessere Rahmenbedingungen für Eltern im politischen Betrieb. Ein Beispiel für eine erfolgreiche derartige Vernetzung ist in Jena zu finden, wo sich Kommunalpolitikerinnen verschiedener demokratischer Fraktionen zusammengetan haben. Wesentliche Initiatorin des Netzwerks war Katja Glybowskaja, Helene Weber-Preisträgerin 2020, Sprecherin des Helene-Netzwerkes und schon seit 2012 im Jenaer Stadtrat.
Digital und analog verbunden
Mittlerweile umfasst die lose Gruppe rund 15 Frauen, bei denen es sich um „Stadträtinnen aller demokratischen Fraktionen“ handelt, wie Glybowskaja sagt. Digital verbunden durch eine Nachrichtengruppe und einen Mailverteiler, diskutieren die Netzwerkmitglieder über relevante Themen aus ihrem politischen Alltag, geben wichtige Informationen und Tipps weiter und weisen einander auf interessante Veranstaltungen hin. Zudem treffen sich die Frauen regelmäßig auch persönlich und besprechen hierbei „Themen, die parteiübergreifend relevant sind“, so Glybowskaja . Gleichzeitig sei die Zusammensetzung des Netzwerks ausgesprochen heterogen, wovon die Zusammenarbeit enorm profitiere. „Die Frauen in unserem Netzwerk bringen ganz unterschiedliche Erfahrungen mit, sind verschiedenen Alters, unterschiedlicher Herkunft und Neueinsteigerinnen ebenso wie langjährig im Politikbetrieb“, erzählt Glybowskaja. So würden in den Austausch untereinander ganz unterschiedliche Perspektiven einfließen.
Inspiration und Stärkung
Das grundsätzliche Ziel des Netzwerks ist es, das politische Engagement von Frauen zu fördern und zu begleiten. „Wir wollen uns gegenseitig inspirieren und stärken“, sagt Glybowskaja. Im Helene Weber-Kolleg habe sie selbst gemerkt, wie sehr man von der Vernetzung mit anderen politisch engagierten Frauen profitieren würde – diese Erfahrung wollte sie auch anderen ermöglichen und in ihrer eigenen Heimat anstoßen. Gerade angesichts der Tatsache, dass die Frauenanteile in den verschiedenen Fraktionen teilweise nicht groß sind, sei es wichtig, sich gegenseitig und über die Parteigrenzen hinweg zu unterstützen. Zudem gebe es bestimmte Themen, die Frauen und Stadträtinnen anders betrachten und bei denen es Sinn mache, dass sich die Politikerinnen zusammentun.
Fokus auf Mutterschaft und Mandat
„Welche Themen können wir gemeinsam setzen?“ – diese Frage beschäftigte die Netzwerkmitglieder bei ihren Treffen und im Laufe der Arbeit haben sich verschiedene Themenbereiche herauskristallisiert, die den Politikerinnen über alle Parteigrenzen hinweg ein Anliegen sind. Einer davon ist das Thema „Mutterschaft und Mandat“. In Jena haben sich die Mitglieder des Netzwerks mit Blick auf dieses Thema genauer damit beschäftigt, wie die Stadtrats- und Ausschuss-Arbeit organisiert ist und welche Veränderungen hier notwendig sind. Die verschiedenen Ansatzpunkte wurden schließlich in einer gemeinsamen Beschlussvorlage formuliert, die im Dezember 2023 im Stadtrat in Jena verabschiedet wurde.
Praktische Verbesserungen für Sitzungen
Die Beschlussvorlage hat verschiedene Forderungen umfasst, die teils ganz praktischer, teils grundsätzlicherer Natur waren. Was die konkreten Verbesserungsvorschläge für den politischen Alltag als Eltern anbelangt, wurden diese vergleichsweise schnell umgesetzt, wie Glybowskaja sagt.
So wird bei Sitzungen mittlerweile immer auch ein Still- und Wickelraum eingerichtet, damit Eltern ihre kleinen Kinder gegebenenfalls vor Ort gut versorgen können. Zudem wird bei den Live-Übertragungen der Sitzungen sensibel darauf geachtet, dass bei Anwesenheit von Kindern keine Filmaufnahmen von diesen übertragen werden.
Konzept zur Mandatsvertretung gefordert
Was die größeren Forderungen anbelangt, wurden bislang noch keine Durchbrüche erreicht. So war einer der gewichtigsten Punkte im Rahmen der Beschlussvorlage die Frage der Wahrnehmung des Mandats während der Schwangerschaft, dem Mutterschutz und der Stillzeit. Aus Sicht von Glybowskaja und ihren Kolleginnen ist klar: „Wir brauchen dringend ein Konzept zur Mandatsvertretung. Gerade in der jetzigen Zeit zählt teilweise jede Stimme bei Abstimmungen – da muss es möglich sein, sich vertreten zu lassen und die Stimme zu übertragen, wenn keine Präsenz möglich ist“. Dies sei auch eine wesentliche Möglichkeit, um Menschen für die Politik zu gewinnen oder zu halten, die gerade extreme Lebenssituationen bewerkstelligen. „Ansonsten bleibt nur der komplette Verzicht auf das politische Engagement und das kann ja nicht gewünscht sein“, so Glybowskaja.
Hybride Sitzungen erwünscht
Ein weiterer bis dato nicht in Angriff genommener Punkt ist die Forderung, bei den Sitzungen auch regelmäßig hybride Formate zu ermöglichen. Während der Corona-Pandemie habe man in Jena damit laut Glybowskaja sehr gute Erfahrungen gemacht, allerdings handelte es sich damals nur um eine Notfall-Regelung und ist man nach Ende der Pandemie komplett zu einer analogen Sitzungskultur zurückgekehrt. „Geht es um bessere Vereinbarkeit, würde es extrem helfen, wenn hier mehr möglich wäre digital und man die Formate wechseln könnte“, sagt Glybowskaja.
Netzwerk mit Zukunft
Es ist also noch viel zu tun für das interfraktionelle Frauennetzwerk in Jena. Die grundsätzlichen Rahmenbedingungen vor Ort aber seien geschaffen worden. Dabei habe sich schon in den vergangenen Monaten deutlich gezeigt, wie sehr sich die Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg gerade bei solch grundlegenden Themen wie der Vereinbarkeit bewähre. „Jetzt müssen wir dran bleiben“, sagt Glybowskaja.