Willkommenskultur für mehr Eltern in der Politik

Stefanie Fimm und Juleka Schulte-Ostermann sind Bürgerschaftsmitglieder in Lübeck und Mütter. Ein ständiger Grenzgang. Wir haben mit ihnen darüber gesprochen, was die größten Herausforderungen, aber auch die größten Hilfen bei der Vereinbarkeit von Ehrenamt, Familie und Beruf für sie sind.

„Wenn man das politische Ehrenamt wirklich ernst nimmt, aktiv sein will und sich gut vernetzen, braucht man viel Zeit und Kraft“, sagt Stefanie Fimm. Sie weiß, wovon sie spricht. 2021 ist sie in die CDU eingetreten und hat mit Erfolg für die Lübecker Bürgerschaft kandidiert. Seither ist sie neben ihrem Hauptberuf im Universitätsklinikum Bürgerschaftsmitglied und Mitglied im Jugendhilfeausschuss. Zudem ist Fimm alleinerziehende Pflegemutter zweier Pflegekinder. Doch wie fordernd die Vereinbarung von Beruf, Familie und Ehrenamt werden würde und welchen Zeitaufwand das politische Mandat mit sich bringt, hat sie zu Beginn „total unterschätzt“, wie sie sagt. 

Herausfordernde Sitzungszeiten

Als mit am herausforderndsten erlebt Fimm die Sitzungszeiten. „Die Bürgerschaftsversammlungen beginnen um 15 Uhr mit einer Vorbesprechung und dauern teilweise bis 22.30 Uhr“, sagt Fimm – das sei mit den Familienzeiten kaum vereinbar und die Kinder in die Sitzung mitzunehmen, ist ihrer Erfahrung nach nur in den ersten Monaten eine Option. So sagt sie: „Den Kinderwagen mit in die Versammlung zu schieben, funktioniert so lange, bis die Kinder laufen können. In der Kleinkindphase ist das schon kaum mehr möglich und in dem Moment, wo die Kinder in die Schule kommen, wird es besonders kompliziert, wenn da Hausaufgaben zu erledigen sind und die Kinder pünktlich ins Bett sollen“. 

Fimm fordert angemessenen finanziellen Ausgleich

Damit das politische Ehrenamt tatsächlich auch mit kleinen Kindern gut stemmbar wird, müssten sich laut Fimm „die Strukturen komplett ändern“ – ein Prozess, die ihrer Erfahrung nach noch in weiter Ferne ist. „Es herrschen so starre und alte Konstrukte, da muss man dicke Bretter bohren“, so Fimm. Umso mehr setzt sie sich dafür ein, dass die fordernde Tätigkeit zumindest finanziell angemessen gewürdigt wird. „Ich glaube, diese Aufgabe darf kein Ehrenamt sein“, sagt Fimm. Wenn man die Aufgaben richtig wahrnehme, sei der Arbeitsaufwand fast so hoch wie im Hauptberuf und das müsse auch entsprechend honoriert werden finanziell. Eine entsprechend würdige Bezahlung würde die Vereinbarkeit aus Sicht von Fimm deutlich verbessern. „Wenn das Ehrenamt bezahlt wäre, würde ich sofort das Hauptamt reduzieren und hätte mehr Zeit auch für meine Familie“, sagt Fimm. Auch die langen Sitzungszeiten zur Familienzeit wären dann besser stemmbar. 

Erstattung der Betreuungskosten hilft sehr

Klar ist für Fimm: Gerade wenn man noch kleine Kinder hat, ist die Anforderung ohne ein gutes Netzwerk zuhause kaum zu stemmen. Doch auch strukturelle Veränderungen können helfen. Etwa die Möglichkeit der Erstattung der Betreuungskosten, für die Fimm zusammen mit Kolleginnen lange gekämpft hat. „Dass ich nun endlich die Babysitterkosten abrechnen kann, ist super und funktioniert auch formal wirklich unkompliziert“, sagt Fimm. Einziger Haken: Abgerechnet werden können nur Stunden, die Fimm im Rahmen ihres Mandats benötigt – „alles, was ich für meine Partei tue, wird nicht erstattet“, so die Politikerin, und auch während der Kandidaturphase vor der Wahl hätte es keinerlei Anspruch auf eine Erstattung gegeben.

Dass die Betreuungskosten mittlerweile abgerechnet werden können, hat auch mit Juleka Schulte-Ostermann zu tun, ebenfalls Bürgerschaftsmitglied in Lübeck und Vertreterin der Wähler*innengemeinschaft „grün+alternativ+links“. Als sie 2018 für die Bürgerschaft kandidierte, waren ihre eigenen Kinder fünf und acht Jahre alt und die Betreuung war ein ständiges Thema – entsprechend wollte sie auch nur einen hinteren Listenplatz. 2023 schließlich hat Schulte-Ostermann als Spitzenkandidatin der Wähler*innengemeinschaft kandidiert, die Kinder waren mittlerweile 10 und 14 Jahre alt. Nachdem es schon lange Bemühungen gegeben hatte, dass die Betreuungskosten erstattet werden, ging es nach der Wahl 2023 auf einmal schnell, wie Schulte-Ostermann erzählt. Der Grund: Nun waren auch im konservativen Lager Eltern mit kleinen Kindern Teil der Bürgerschaft und das Interesse an einer Erstattung der Betreuungskosten war überparteilich gegeben. 

Was es braucht und was hilft:

Auch aus Erfahrung von Schulte-Ostermann ist ein politisches Ehrenamt, „wenn man es ernst nimmt, irre zeitaufwändig“ und gäbe es gerade für Eltern zahlreiche Stolpersteine, mit denen man vorher überhaupt nicht rechnen würde. Gleichzeitig gibt es – neben strukturellen Veränderungen – auch etliche weichere Faktoren, die laut Schulte-Ostermann beim ständigen Ringen um die Vereinbarkeit helfen können:

  • eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit über das politische Ehrenamt, „damit die Menschen wertschätzen, was wir hier machen“ neben dem Hauptberuf und der Familie zuhause

  • Toleranz in der Partei und der Fraktion und Verständnis für die besondere Situation als Eltern. „Darauf kann ich absolut zählen und das hilft mir sehr“, sagt Schulte-Ostermann. So sei es für ihre Kollegen zum Beispiel egal, wenn sie mal später komme oder früher losmüsse bei einer Sitzung. 

  • unkomplizierte Formalia und Unterstützung durch die Verwaltung, z.B. bei der Erstattung der Betreuungskosten und der Freistellung vom Arbeitgeber

  • die Anwendung digitaler Möglichkeiten, etwa hybrider Sitzungsformate oder digitaler Videokonferenz-Systeme, die in den Fraktionssitzungen verwendet werden

  • kalkulierbarere Sitzungszeiten

  • und nicht zuletzt: eine Willkommenskultur für Eltern und Kinder, also Verständnis statt tadelnder Blicke und flexible Strukturen bei herausfordernden Lebenssituationen. „Das kann man nicht festschreiben und gesetzlich verankern, ist aber extrem wichtig, damit man sich wohlfühlt als Eltern und nicht aufgibt“, sagt Schulte-Ostermann. Schließlich ist sie überzeugt: „Wir brauchen Eltern in der Politik, sonst werden ihre Interessen nicht abgebildet und fehlt eine wichtige Perspektive auf alle möglichen Bereiche“.