Kleine Veränderung, große Wirkung: eine neu positionierte Uhr sorgt in Oberhavel für straffere Sitzungen

Geht es um bessere Vereinbarkeit von Familie und Politik, müssen meist dicke Bretter gebohrt werden. Doch manchmal braucht es nicht viel, um eine spürbare Verbesserung in der Praxis zu erreichen: Im Kreistag Oberhavel hat die schlichte Sichtbarmachung einer Uhr zur einer deutlich strafferen Sitzungskultur und Rededisziplin geführt.

Initialzündung bei Demokratiewerkstatt

Ausgangspunkt dieser Entwicklung war eine im Herbst 2022 abgehaltene Demokratiewerkstatt im Rahmen des Projektes „Aktionsprogramm Kommune – Frauen in die Politik!“. „Bei der Werkstatt haben wir es uns als Ziel gesetzt, gute Rahmenbedingungen zu schaffen für Menschen in ihrer Vielfalt und für mehr Vereinbarkeit“, erzählt Christiane Bonk, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Oranienburg und Koordinatorin des Aktionsprogramms in der Region Oberhavel. Dies seien grundsätzlich Aspekte, die Frauen und Männer beträfen. In der Praxis aber zeige sich, dass die Vereinbarkeitsfrage für Frauen nach wie vor wichtiger sei, weil sie im Schnitt deutlich mehr Sorgearbeit übernehmen, wie Bonk feststellt.

Problem: mangelnde Disziplin in den Sitzungen

Als es um bessere Vereinbarkeit ging, stand bei der Werkstatt schnell die Sitzungskultur im Fokus. Schließlich litten viele unter der häufigen Überlänge der abendlichen Sitzungen, die nicht zuletzt an der mangelnden Selbstdisziplin der Teilnehmenden und den ausufernden Redebeiträgen lag, wie Bonk berichtet. Eine Lösung allerdings schien schwierig. In den Geschäftsordnungen der Fraktionen waren zu diesem Zeitpunkt bereits seit Längerem verpflichtende Redezeiten festgehalten und rein rechtlich somit alle Handlungsmöglichkeiten erschöpft. Das Problem: Trotz theoretischer Regeln gerieten die Zeiten der einzelnen Redebeiträge in der Praxis oft aus dem Blick und ihre Einhaltung wurde von der jeweiligen Sitzungsleitung nicht konsequent und verlässlich eingefordert.

Einfach mal die Uhr umdrehen

Die Idee kam mitten in der Sitzung einer Arbeitsgruppe. „Wir haben überlegt, was eigentlich das Problem ist und da wurde uns klar, dass die Uhr bislang nur beim Vorsitzenden auf dem Tisch steht und auch nur für diesen ersichtlich ist“, so Bonk. „Als wir uns dann vorgestellt haben, dass alle die Uhr sehen, wurde uns klar, dass das eine ganz andere Wirkung hätte“. Die Lösung lag auf der Hand: „Letztlich haben wir vorgeschlagen, einfach mal die Uhr umzudrehen. Das war für uns ein großes Aha-Erlebnis damals“, so die Gleichstellungsbeauftragte.

Die Zeit im Blick

Seit November 2022 kann im Kreistag Oberhavel nun eindrucksvoll erlebt werden, was eine neu positionierte Uhr für die Sitzungskultur bewirken kann. Die ablaufende Redezeit wird je Redner*in und Fraktion nun auf einem großen Bildschirm in dem Saal eingeblendet. Während zuvor nur die Sitzungsleitung und -vorsitz die Redezeit im Blick hatte, können nun sowohl Redner*innen selbst als auch die Kolleg*innen deutlich sehen, wie viele Minuten noch verbleiben. „Die Wirkung ist wirklich erstaunlich“, erzählt Bonk. Angesichts der ablaufenden Zeit würden sich die Redner*innen deutlich disziplinieren und viel schneller zum Punkt kommen. Mit der Folge: „Die Sitzungen insgesamt werden straffer, Entscheidungen kommen zügiger zustande und die Punkte der Tagesordnung werden disziplinierter abgearbeitet“, so Bonk. Dies sei letztlich für alle ein Gewinn und ein gutes Beispiel dafür, wie mit einer simplen Aktion und dank der gelungenen Zusammenarbeit von Verwaltung und Politik Gutes bewirkt werden kann.

Die Uhr ist erst der Anfang

Die Neuausrichtung der Uhr ist nur der erste Punkt, der als Ergebnis der Demokratiewerkstatt in Oranienburg und Oberhavel umgesetzt wurde. Weitere sollen laut Bonk folgen, darunter eine intensive Schulung der Sitzungsleitung und Moderator*innen sowie die Erarbeitung eines Verhaltungskodex, der gewährleisten soll, dass die „Verrohung in der Kommunikation und die Vermischung von Sach- und Beziehungsebene“ in den Sitzungen weniger wird. Ein großer Fortschritt in Sachen Vereinbarkeit ist in Oranienburg bereits seit der Corona-Pandemie Realität. So finden sämtliche Sitzungen hybrid statt, was bedeutet, dass immer auch eine digitale Teilnahme sowie Abstimmung möglich ist, wenn es die jeweilige private Situation erfordert. „Das erleichtert es für viele und wir bekommen hier sehr positive Rückmeldungen aus den verschiedenen Fraktionen“, so Bonk.

Neue und attraktive Perspektiven

So simpel der Ansatz im Fall der Uhr war, so beeindruckend ist die Wirkung. „Durch das Umdrehen der Uhr haben wir im Kreistag Oberhavel tatsächlich einen Perspektivwechsel erreicht“, erzählt Bonk. Dabei sei dies eines von vielen Signalen, die es brauche, um die Kommunalpolitik insgesamt attraktiver zu machen und einen niedrigschwelligen und realistischeren Zugang zu schaffen. „Letztlich geht es darum, gerade Frauen zu zeigen: Es ist machbar und wir versuchen, die Arbeitsbedingungen noch weiter zu verbessern“, sagt die Gleichstellungsbeauftragte. Noch sind die Änderungen in Oberhavel zu neu, um schon jetzt eine konkrete Steigerung der Frauenquote messen zu können. Gleichwohl gibt es erst positive Zeichen. So wurde neben der Demokratiewerkstatt im Rahmen des Aktionsprogramms auch ein Mentoring-Programm mit insgesamt 15 Tandems durchgeführt. Von den 15 Mentees, die hier begleitet und eingeführt wurden, sind zwei mittlerweile sachkundige Einwohnerinnen, weitere 5 wollen bei der nächsten Kommunalwahl kandidieren.

Autorin: Dorothea Walchshäusl