Geld ist nicht alles – Was es neben einer hohen Aufwandsentschädigung im politischen Ehrenamt noch braucht
In Stuttgart bekommen die Mitglieder im Gemeinderat eine Aufwandsentschädigung in einer Höhe, von der politisch Engagierte andernorts nur träumen. Doch der finanzielle Ausgleich geht mit enormem Zeitaufwand und fehlender sozialer Absicherung einher. Damit er auch etwas zur Vereinbarkeit beiträgt, muss noch viel geschehen.
Für Lucia Schanbacher ist die Politik eine Herzensangelegenheit. „Mir macht die Arbeit unfassbar viel Spaß“, sagt die 34-Jährige. Man habe enormen Handlungsspielraum im Großen wie Kleinen und „es ist wahnsinnig schön, etwas für seine Stadt zu gestalten“, so Schanbacher. Ihre Stadt ist Stuttgart und die Aufwandsentschädigung, die dort für das politische Ehrenamt gezahlt wird, liegt deutlich über jener andernorts. Doch es lohnt sich, genauer hinzuschauen, warum das allein nicht reicht, um die Vereinbarkeit von Familie, Ehrenamt und Beruf zu verbessern.
Vereinbarkeit dauernde Herausforderung
Lucia Schanbacher ist seit fünf Jahren im Gemeinderat und wurde zum zweiten Mal wiedergewählt. Neben der Ratstätigkeit ist sie Sprecherin des Ausschusses für Klima, Mobilität und Stadtentwicklung. Hauptberuflich arbeitet sie 50 Prozent als PR-Referentin für einen Bundestagsabgeordneten. Seit vier Jahren ist Schanbacher zudem Mutter, ihre Kinder sind im Moment zwei und vier Jahre alt. Die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Ehrenamt ist da ein ständiges Thema. „Ich habe beide Kinder in der Amtszeit bekommen, das war eine besondere Herausforderung“, sagt Schanbacher. Das Problem: Als Mandatsträgerin konnte sie keine Auszeit nehmen, deshalb hat sie die Kinder überall mithin genommen, wie sie erzählt. Unglaublich fordernd sei das gewesen.
Enorm hoher Zeitaufwand
Für ihre politische Arbeit verbringt Lucia Schanbacher jede Woche rund 30 bis 35 Stunden im Rathaus. „Ich bin pro Woche alleine 15 Stunden nur in Sitzungen“, sagt Schanbacher, hinzu kommen zahlreiche Ausschusstage und die Vor- und Nachbereitungen. Angesichts dieses zeitlich extrem fordernden Ehrenamts ist sie überzeugt: „Man kann parallel zum Ehrenamt eigentlich nicht Vollzeit berufstätig sein, wenn man das richtig ausfüllen möchte“. Sie selbst könne ihren Teilzeit-Job nur deshalb wahrnehmen, weil sie sehr flexible Arbeitszeiten habe. Im Gemeinderat seien entsprechend viele Rentner*innen, Selbstständige, Studierende oder Leute mit ähnlich flexiblen Arbeitszeiten vertreten. Auch die Sitzungszeiten würden die eigentlich hauptberufliche Dimension des Ehrenamts unterstreichen: So finden die Sitzungen in Stuttgart ausschließlich vormittags von 8.30 Uhr bis 12.30 Uhr statt. „Das ist nicht dafür angelegt, dass Leute nebenher noch arbeiten“, so Schanbacher.
Hohe Vergütung
Für ihre politische Tätigkeit erhält Schanbacher eine Grundvergütung von 1.700 Euro brutto pro Monat. Hinzu kommen das Sitzungsgeld und die Aufsichtsratvergütung, die jährlich 3.000 bis 4.000 Euro ausmacht. Insgesamt ergeben sich so rund 2000 Euro brutto im Monat, die Schanbacher komplett versteuern muss, wie sie sagt. „Ich will nicht meckern und weiß, dass andere viel weniger bekommen“, sagt Schanbacher. Aber angesichts der vielen Arbeit und der hohen Lebenshaltungskosten in Stuttgart relativiere sich der scheinbar hohe Betrag. Was hinzu kommt: Es gibt in Stuttgart keine zusätzliche Entschädigung für Kinderbetreuungskosten. Das bedeutet: „Was die Entschädigung anbelangt, ist es völlig egal, ob ich alleinstehend und in Rente bin oder zwei kleine Kinder habe“, so Schanbacher. Ein weiteres Problem stellt aus Sicht von Schanbacher die fehlende soziale Absicherung dar. „Da die politische Tätigkeit nach wie vor als Ehrenamt zählt, gilt das Arbeitsrecht hier nicht und bin ich auch nicht sozialversicherungspflichtig“, so Schanbacher. Außerdem bestehe kein Rentenanspruch – in Anbetracht des hohen Arbeitspensums ein untragbarer Zustand, wie sie findet.
Vertretungsregelung dringend notwendig
Was Lucia Schanbacher neben der fehlenden, einem Hauptberuf entsprechenden Absicherung, gerade als Mutter am stärksten fehlt, ist die Möglichkeit, sich vertreten zu lassen. „Ich hätte liebend gerne Elternzeit genommen, aber das ging nicht“, so Schanbacher. Auch Mutterschutz war keiner möglich. Die Folge: „Ich saß am Tag des errechneten Geburtstermins noch im Gemeinderat“.
Mehr Eltern in die Politik
Damit sich hierzu in Stuttgart etwas tut, hat sich Schanbacher mit Gleichgesinnten zusammengetan und die Initiative der "Jungen Stadträt*innen für junge Stadträt*innen" initiiert, nachdem bei der Wahl 2019 vergleichsweise viele junge Frauen in den Stadtrat gekommen waren. „Wir setzen uns ein für ein modernes Ehrenamt, das zum Leben passt“, sagt Schanbacher, und da sei eine Vertretungsregelung nicht nur als Eltern oft eine Voraussetzung, um überhaupt ein solches Ehrenamt anzunehmen. Bislang hatte die Initiative mit ihrem Appell, hier etwas zu ändern, keinen Erfolg und die Anzahl der Eltern mit kleinen Kindern im Stadtrat ist überaus gering. So stellt Schanbacher fest: „In Stuttgart bin ich als Frau mit Mitte 30 und zwei kleinen Kindern der Durchschnitt. Im Stadtrat bin ich die absolute Ausnahme.“