Interview mit Christiana Bukalo

„Wir wollen staatenlosen Personen einen Raum geben“

Christiana Bukalo ist Co-Gründerin der Plattform und Nonprofit-Organisation Statefree – und setzt sich für die Rechte staatenloser Menschen ein. Vernetzung spielt dabei eine große Rolle.

Christiana Bukalo ist in München geboren, hat hier Abi gemacht, studiert und gearbeitet. Doch in ihren Ausweispapieren steht unter Staatsangehörigkeit: XXA. Die 28-Jähre ist staatenlos - und damit nicht allein. Rund 117.000 Menschen ohne jegliche Staatsangehörigkeit leben in Deutschland, weltweit sind es 15 Millionen. Um sie zu vernetzen und sich für die Rechte von Staatenlosen einzusetzen, hat Christiana Bukalo die Plattform und Nonprofit-Organisation Statefree gegründet. Im Gespräch erzählt sie, mit welchen Hürden staatenlose Menschen konfrontiert sind und warum Erfahrungsaustausch so wichtig ist.

EAF Berlin: Christiana, Du bist seit Deiner Geburt staatenlos. Was bedeutet das für Deinen Alltag?

Christiana Bukalo: Es gibt unterschiedliche Auswirkungen, die bei mir zum Beispiel auch stark in Zusammenhang mit dem jeweiligen Asyl- oder Aufenthaltsstatus standen. Vor allem hat sich der Status der Staatenlosigkeit aber darin geäußert, dass ich sehr lange keine Reisedokumente hatte. Das heißt, man kann das Land außer mit bestimmten Genehmigungen nicht verlassen. Einen Reiseausweis habe ich das erste Mal mit 18 Jahren bekommen. Und ich habe keinen Personalausweis in dem Sinne, sondern einen Aufenthaltstitel. Logistisch macht sich die Staatenlosigkeit also am meisten beim Thema Reisen bemerkbar. Ansonsten ist es oft auch administrativ herausfordernd. Als ich mich etwa für die Uni einschreiben wollte, hat das online nicht funktioniert. Und bei Bewerbungsprozessen ist es zum Beispiel schwierig, wenn Unternehmen Online-Masken mit Pflichtfeldern haben, in denen man die Nationalität anklicken muss. Oft gibt es im Drop-Down-Menü keine Möglichkeit, die Staatenlosigkeit anzugeben. Man muss also für alles Umwege finden. Sobald ich mein Ausweisdokument zeigen muss, wird mir zudem immer mit einer gewissen Skepsis begegnet. Es gibt einfach keine wirkliche Aufklärung über dieses Dokument und über die Situation von Staatenlosen.

EAF Berlin: Welche Möglichkeiten haben Staatenlose, sich politisch zu engagieren?

Christiana Bukalo: Die politischen Rechte sind stark eingeschränkt. Ich kann zum Beispiel nicht wählen oder im öffentlichen Dienst arbeiten. Und ich könnte zwar einer politischen Partei beitreten, aber nicht gewählt werden. Früher war es tatsächlich so, dass ich Politik als nicht greifbar, als unzugänglich empfunden habe und deshalb eher gemieden habe. Ich habe mich stattdessen ehrenamtlich im soziokulturellen Bereich engagiert und tue das immer noch. Jetzt habe ich durch die von mir gegründete Nonprofit-Organisation Statefree auch die Möglichkeit, politisch aktiv zu werden. Besonders mit der Förderung durch das politische Startup JoinPolitics bekommen wir dafür auch Unterstützung und Rückhalt, was eine wichtige Rolle spielt.

EAF Berlin: Was sind die Ziele von Statefree?

Christiana Bukalo: Unsere Mission ist es, die Selbstermächtigung von staatenlosen Personen zu ermöglichen. Und diese Form des Empowerments kann ja unterschiedliche Formen haben. Eine unserer Säulen ist der Punkt Community. Das mangelnde Gefühl von Zugehörigkeit ist natürlich ein großes Thema für staatenlose Personen. Und diesem Gefühl wollen wir entgegentreten, weshalb wir letztes Jahr eine global zugängliche Online-Community gelauncht haben. Wir wollen staatenlosen Personen einen Raum geben, in dem sie miteinander in Kontakt treten können, ihre Erfahrungen austauschen, Fragen stellen können und sich gegenseitig weiterhelfen. Die zweite Säule ist die Sichtbarkeit. Selbstermächtigung entsteht auch, indem man versteht, dass man nicht allein betroffen ist. Deshalb versuchen wir gerade mehr Geschichten von staatenlosen Menschen zu erzählen. Wir haben vor einem Jahr ein Fotoprojekt gestartet und portraitieren derzeit unterschiedliche staatenlose Personen aus Europa. Im Sommer wird es die erste Ausstellung dazu geben. Und die dritte Säule ist tatsächlich politische Gleichstellung. Wir haben gemerkt, dass wir natürlich so viel Gemeinschaft und Sichtbarkeit schaffen können, wie wir möchten. Wirklich ermächtigt werden staatenlose Personen dann, wenn sie Rechte haben, mit denen sie teilhaben können. Da geht es dann wirklich darum, die Gesetzeslage für Staatenlose zu verbessern.

EAF Berlin: Was sollte hier aus Deiner Sicht geändert werden?

Christiana Bukalo: Das internationale Recht regelt eigentlich, dass jeder Mensch das Recht auf eine Nationalität hat. Das ist erst einmal eine gute Voraussetzung. Aber jede Nation entscheidet individuell, unter welchen Bedingungen die Staatsangehörigkeit gewährleistet wird. So entstehen Lücken, die dazu führen, dass man staatenlos wird. Die UN-Konventionen von 1954 zum Schutz von staatenlosen Personen geben Empfehlungen, wie Nationalstaaten mit staatenlosen Personen umgehen sollen, um ihnen ein gewisses Level an Schutz zu bieten. Diesen Konventionen hat Deutschland zugestimmt, aber noch ein paar Vorbehalte eingeräumt. Diese könnte man zum Beispiel zurücknehmen. Da geht es ganz konkret darum, dass staatenlose Personen ein Recht auf Identitätsdokumente und Reiseausweise haben. Außerdem ist eine Forderung von uns, dass Staatenlosigkeit nicht weitervererbt wird. Für Menschen mit ungeklärter Staatenlosigkeit gibt es zudem auf kommunaler Ebene kein gesondertes Verfahren, um offiziell als staatenlos anerkannt zu werden. Das heißt, sie hängen oft lange in einem ungeklärten Status fest. Wir wollen mit unterschiedlichen Akteur*innen ein Netzwerk schaffen, um die Situation von staatenlosen Personen in Deutschland zu klären. Sie müssen ihr Potential besser entfalten können und an der Demokratie hier teilhaben.

EAF Berlin: Wie ist es zu Deinem Engagement für Statefree gekommen?

Christiana Bukalo: Ich hatte bei einer Reise nach Marokko ein sehr traumatisierendes Erlebnis, bei dem ich aufgrund fehlender Dokumente nicht einreisen durfte und 20 Stunden am Flughafen verbringen musste, bis der nächste Flug zurück nach Deutschland ging. Dazu kam es vor allem, weil mir die richtigen Informationen gefehlt haben, die ich für diese Reise brauchte. Und ich war schockiert, dass ich diese Informationen nicht finden konnte. Ich dachte zu diesem Zeitpunkt noch, dass ich vielleicht eine von 50 staatenlosen Personen weltweit bin und es deshalb keine Institution gibt, die sich verantwortlich fühlt und mir Fragen beantworten kann. Bei meiner Recherche habe ich aber festgestellt, dass weltweit viele Personen von Staatenlosigkeit betroffen sind, derzeit geschätzte 15 Millionen. Es ist eine Sache staatenlos zu sein. Aber es ist eine andere, nicht einmal die Informationen zur Verfügung zu haben, die man bräuchte, um mit dem Status umzugehen. So kam es zur Idee für die Online-Plattform. Das hat sich dann weiterentwickelt zur Idee, auch politisch aktiv zu werden, weil das im Endeffekt der wichtigste Hebel ist.

EAF Berlin: Was können Parteien tun, um Staatenlose besser einzubinden?

Christiana Bukalo: Für umfassende Veränderung ist es wichtig, dass alle politischen Akteur*innen überparteilich beginnen staatenlose Menschen mitzudenken. Das bedeutet zum einen eine stärkere Aufklärung und Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass es in Deutschland eine große Gruppe von Menschen gibt, die hiervon betroffen sind. Zum anderen bedeutet es, Stellung zu beziehen und Verantwortung zu übernehmen. Staatenlosigkeit muss auf die politische Agenda gesetzt und aktiv behandelt werden. Die Zahl der staatenlosen Menschen in Deutschland steigt stetig. Wir sollten jetzt präventiv handeln, um eine Lösung zu identifizieren. Wir, Statefree, sehen uns hier ganz klar als Kooperationspartner*innen und glauben fest daran, dass es die Möglichkeit gibt, gemeinsam mit Politiker*innen, Behörden und Fachexpert*innen den richtigen Weg zu finden. Wichtig ist dabei, dass Parteien mit staatenlosen Personen in den Austausch kommen, um sowohl Verständnis als auch Erkenntnisse über diese Lebensrealitäten in Deutschland zu entwickeln und das in die Lösungsfindung einfließen zu lassen.

Christiana Bukalo ist in München und staatenlos. Sie ist Co-Gründerin der Plattform und Nonprofit-Organisation Statefree. Die Organisation widmet sich dem Thema Staatenlosigkeit und vernetzt betroffene Menschen.