Die Gastartikel

Europa braucht mehr Feminismus!

Frauen gehen seltener zur Europawahl als Männer. 2014 lag der Unterschied in der Wahlbeteiligung bei fast 5 Prozent. Dabei hat die Europäische Union hat gerade für Frauen Einiges in Bewegung gesetzt.

ÜBER DIE AUTORIN

Franziska Brantner

ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie ist Sprecherin für Europapolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie Parlamentarische Geschäftsführerin. Sie ist Mitglied im Europaausschuss und stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.

In den Europäischen Verträgen sind Frauenrechte fest verankert – Artikel 2 nennt die „Gleichheit von Frauen und Männern“ als Grundsatz der EU. Schon 1957 wurde in den Römischen Verträgen festgelegt, dass gleiche Arbeit gleich entlohnt werden muss. Aber Frauen verdienen immer noch weniger als männliche Kollegen! Gerade in Deutschland ist die Lohnlücke groß: 21 Prozent. Für gleiche Bezahlung von Frauen brauchen wir deshalb in der EU eine Richtlinie. Darin sollen unter anderem Kriterien für die Vergleichbarkeit von Tätigkeiten festgelegt werden und ein Verbandsklagerecht durch Gewerkschaften oder andere Verbände ermöglicht werden. Kaum eine Frau klagt nämlich alleine gegen ungerechte Behandlung am Arbeitsplatz. Was hat die EU hier bereits erreicht?

Europäische Regelungen gehen beim Thema Gleichberechtigung häufig über die nationale Gesetzgebung hinaus. Die EU ist eine besonders starke Kraft gegen Diskriminierung. Der europäische Antidiskriminierungsschutz findet sich in der 2002 verabschiedeten „Gender-Richtlinie“, die 2006 als Richtlinie zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen neugefasst wurde. Die Richtlinie zur Gleichstellung der Geschlechter auch außerhalb der Arbeitswelt gibt es seit 2004.

Darauf aufbauend hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) maßgebliche Urteile gefällt. Beispiel Versicherungstarife: 2011 wurde entschieden, dass Frauen bei Versicherungsbeiträgen nicht benachteiligt werden dürfen. Vorher mussten diese höhere Beiträge zahlen als Männer, weil ihre durchschnittliche Lebenserwartung höher war. Beispiel Bundeswehr: Bis zum Jahr 2000 war es Frauen in Deutschland verboten, den aktiven Militärdienst anzutreten. Der EuGH kippte dieses Verbot, weil es gegen die EU-Richtlinie zur beruflichen Gleichstellung verstoß. Beispiel Stillurlaub: Ein Urteil des EuGH bekräftigte 2010, dass Väter auch unabhängig vom Beschäftigungsstatus der Mutter nach der Geburt des Kindes frei bekommen müssen. 

Im Europaparlament gibt es einen extra Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter (FEMM). In meiner Zeit als Europaabgeordnete war ich selbst Teil dieses Ausschusses. Der FEMM-Ausschuss hat sich in den letzten Jahren insbesondere dem Thema Gewalt gegen Frauen gewidmet. Im Europarat wurde mit der Istanbul-Konvention im Jahr 2011 ein rechtlich bindendes Instrument zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen verabschiedet. Der FEMM-Ausschuss setzt sich für eine konsequente Umsetzung der Konvention ein: Hierzu braucht es eine europäische Richtlinie gegen Gewalt an Frauen. Darin sollen konkrete Ziele zum besseren Schutz von Frauen und Mädchen festgelegt werden.Auch die #metoo Debatte hat die Abgeordneten im FEMM-Ausschuss beschäftigt: Der Ausschuss engagiert sich für eine konsequentere Bestrafung und bessere Unterstützung von Opfern sexueller Belästigung.

Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) arbeitet dem FEMM-Ausschuss zu. Es unterstützt die europäische Gleichstellungspolitik vor allem durch Datensammlung. Dabei werden auch einzelne Mitgliedsstaaten in den Fokus gestellt: Auf dem vom EIGE veröffentlichten Gleichstellungsindex schneidet Deutschland zum Beispiel seit Jahren unterdurchschnittlich ab. 

Frauenrechte verteidigen und stärken!

Wir erleben momentan, wie Frauenrechte und Gleichstellung von rechts zunehmend infrage gestellt werden. Wer sich ein Bild davon machen will, wo das hinführen kann, sollte nach Polen schauen, wo die national-konservative Regierung die Abtreibungsgesetzte verschärft. Oder nach Italien, wo Salvinis Lega Nord ein Gesetz auf den Weg gebracht hat, dass Scheidungen erschwert und Unterhaltszahlungen für Kinder abschaffen will. Und dass auch der AfD die Emanzipation der Frau ein Dorn im Auge ist, wurde bei der Debatte im Deutschen Bundestag um den Paragraph 219a sehr deutlich.

Je stärker die Parteien vom rechten Rand im nächsten Europaparlament werden, desto lauter werden jene Stimmen sein, die Frauen ihre Rechte und Freiheiten absprechen wollen. Das müssen wir verhindern! Wir brauchen im nächsten Europaparlament eine Mehrheit für eine offene, freie und vielfältige Gesellschaft – mit vielen Stimmen, die die Frauenrechte hochhalten. Das ist nicht nur wichtig, um denjenigen die Stirn zu bieten, die uns an Heim und Herd wünschen. Es ist auch von entscheidender Bedeutung, damit Europa weitere Schritte hin zu einer gleichberechtigten Gesellschaft gehen kann! Zum Beispiel mit einer Frau an der Spitze der nächsten Europäischen Kommission!