BEST-PRACTICE-BEISPIEL

Parität ist aus der französischen Politik nicht mehr weg zu denken

Nach einem desaströsen Missverhältnis zwischen Frauen und Männern in den französischen Parlamenten, änderte die Regierung um Lionel Jospin 1999 die Verfassung, um den Weg für ein Paritätsgesetz zu schaffen. Die Journalistin Cécile Calla zeichnet hier das lange Ringen um das Paritätsgesetz nach.

ÜBER DIE AUTORIN

Cécile Calla

Cécile Calla, 1977 geboren, ist eine französische Autorin und Journalistin. Sie war Korrespondentin der französischen Tageszeitung "Le Monde "und Chefredakteurin des deutsch-französischen Magazins "ParisBerlin".
Sie hat das Blog « Medusablätter » (www.medusablaetter.com) über Frauen und Feminismus 2018 gegründet.

Der Weg zum französischen Paritätsgesetz war voller Fallstricke. Die Diskussion um die Repräsentation von Frauen in der Politik begann in den 1970er und 1980er Jahren mit der Forderung nach einer Frauenquote. Diese Idee scheiterte jedoch im Jahre 1982 durch ein Veto des Verfassungsrates gegenüber einem Gesetz, das eine Frauenquote von 25 % bei Kommunalwahlen festschreiben sollte. In ihrem Urteil hob diese Instanz hervor, eine solche Maßnahme würde das Gleichheitsprinzip, das eine Aufteilung der Wähler*innen in Kategorien ablehnt, verletzen.

Erst die Veröffentlichung des Buches Au pouvoir, citoyennes: Liberté, égalité, parité (Bürgerinnen an der Macht: Freiheit, Gleichheit, Parität) im Jahr 1992 entfachte eine rege Debatte um die Parität. In diesem Buch beschrieben die beiden Autorinnen Françoise Gaspard (Soziologin und ehemalige Politikerin), Anne Le Gall (Juristin) und Claude Servan-Schreiber (Journalistin und Autorin) das Konzept der Parität als Bestandteil des republikanischen Universalismus. Ihre Forderungen wirkten damals radikal. Doch genauso extrem war die Unsichtbarkeit der Frauen in der französischen Politik. Im Jahr 1993 war der Frauenanteil in der Assemblée nationale (französischen Parlament) mit 6,1 %, kaum höher als nach dem zweiten Weltkrieg (5,6%). Damit stand Frankreich im europäischen Vergleich ganz hinten: In derselben Zeit lag etwa der Frauenanteil im deutschen Bundestag bei 26,2 Prozent. Diese französische Ausnahme bildete eine Art Fortsetzung der Lex Salica, des salischen Rechts, das Frauen jahrhundertelang systematisch vom Thron – und damit von politischer Macht ausschloss. Das allgemeine Wahlrecht wurde zwar im Zuge der französischen Revolution im Jahr 1792 das erste Mal eingeführt, die Frauen blieben jedoch von diesem Fortschritt lange ausgeschlossen. Im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern erhielten die Französinnen spät, erst 1944, das aktive und passive Wahlrecht. Zudem setzten die feministischen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre den aktivistischen Schwerpunkt auf sexuelle und reproduktiven Rechte (Legalisierung der Abtreibung und der Pille) und den Zugang zum Arbeitsmarkt – nicht auf politische Macht.

Parität in aller Munde – Frankreich als Vorreiterin

Anfang der 1990er Jahre schien die Zeit reif für einen Wandel. Kolloquien, Petitionen, Demos, Veröffentlichungen: der Begriff Parität war in aller Munde. Die Auseinandersetzungen verliefen quer über die Parteigrenzen hinweg und auch Feministinnen waren sich in dieser Frage uneinig. Frauen wie Gisèle Halimi, eine bekannte Rechtsanwältin, die für die Rechte der Frauen kämpfte oder Simone Veil, Holocaust-Überlebende und Politikerin, die als Gesundheitsministerin die Legalisierung der Abtreibung 1974 ermöglichte, gehörten zu deren Unterstützer*innen. Bekannte Feministinnen wie die Philosophin Elisabeth Badinter oder die Psychoanalytikerin Elisabeth Roudinesco waren dagegen: Elisabeth Badinter monierte, ein solches Gesetz würde das Prinzip des Universalismus aushöhlen. Andere wiederum erklärten, es würde die Wahlfreiheit der Wähler*innen eingeschränkt.

Andere Gegner*innen behaupteten, man könne nicht genügend Kandidatinnen für politische Ämter finden. 1995 wurde die Parität zum ersten Mal im Wahlkampf für die Präsidentenwahl breit thematisiert. Nach der Auflösung der Assemblée nationale im Jahre 1997, entschied die neue sozialistische und grüne Regierung von Premierminister Lionel Jospin, die Verfassung zu ändern um den Weg für ein Paritätsgesetz zu ebnen. Im Artikel 3 der Verfassung der V. Republik wurde der entsprechende Satz im Jahre 1999 hinzugefügt: „Das Gesetz fördert den gleichberechtigten Zugang für Frauen und Männer zu Wahlmandaten und Ämtern.“ Sechs Monate später, am 6. Juni 2000 wurde das Gesetz verabschiedet. Frankreich wurde das erste Land in der Welt, das eine Parität festschrieb. Entgegen dem, was viele Gegner damals behaupteten, war die französische Gesellschaft bereit für einen solchen Schritt. Erste Umfragen im Jahre 2001 zeigten, dass eine überwältigende Mehrheit der Franzosen dieses Prinzip unterstützte. Auch war es kein Problem, genügend Kandidatinnen für politische Ämter zu finden.

An der Spitze sind Frauen noch immer rar

Heute ist die Parität aus der französischen Politik gar nicht mehr weg zu denken. Selbstverständlich berichten die Medien über den Frauenanteil bei den Wahlen und alle Politiker und Parteien mit Ausnahme der rechtsextremistischen Partei Rassemblement national von Marine Le Pen, unterstützen dieses Gesetz. Seit 2000 wurde das Gesetz mehrmals verändert, um seine Schlagkraft zu verstärken. Dennoch fällt die Bilanz unterschiedlich aus: Das Gesetz hat sich bei Listenwahlen wie den Europawahlen, Kommunalwahlen oder Regionalwahlen positiv ausgewirkt, mittlerweile erreicht der Frauenanteil über 40 %. Dank einer Reform im Jahr 2013, die das Bi-nômes - Bînomes-Prinzip (Kandidat*innen-Duos, die aus jeweils einem Mann und einer Frau bestehen) bei den Departementswahlen festschrieb, herrscht heute eine vollkommene Parität in den Departementsräten. Bei den Parlamentswahlen, wo es sich um eine Direktwahl mit Mehrheitswahlrecht handelt, waren die Fortschritte viel langsamer, weil die Parteien das Gesetz umgingen. Man zahlte lieber Sanktionen bzw. verzichtete auf staatliche Zuwendungen in der Parteienfinanzierung, gründete Dissidentenlisten oder schickte Kandidatinnen ins Rennene, die als sichere Verlierinnen galten. Erst eine Reform des Paritätsgesetzes im Jahre 2014 mit der die finanziellen Sanktionen verdoppelt wurden und die strikte Einhaltung des Paritätsgesetzes von La République en marche (LREM), die von Staatspräsident Emmanuel Macron gegründete Partei, führte zu einem deutlichen Anstieg des Frauenanteils in der Assemblée nationale auf 39 % im Jahre 2017.

Doch nach wie vor gilt: je machtvoller eine Position ist, desto weniger Frauen halten sie inne In den hochangesehenen parlamentarischen Ausschüssen findet man deutlich weniger Frauen an der Spitze. Auch als Bürgermeister*innen sind Frauen nach wie vor unterrepräsentiert, mit einem Anteil von nur 16%. Und auch als Präsidentinnen von Regionen sind sie rar, nur drei von 12 Regionen werden von Frauen geführt

Dennoch: Viele Studien zeigen, dass ohne dieses Gesetz viel weniger Frauen heute in der französischen Politik präsent wären. „Ohne gesetzlichen Zwang, keine Parität“, so stand es 2017 in einem Bericht der Haut conseil à l’égalité, einer beratenden Instanz, die über die Präsenz von Frauen im öffentlichen Leben wacht.