Interview mit Eileen O'Sullivan

Sag mal Eileen, was können junge Parteien für mehr Vielfalt in der Politik tun?

Noch vor kurzem steckte Eileen O'Sullivan mitten im Studium der Politikwissenschaft und vergleichenden Religionswissenschaft, jobbte nebenher in einem Friseursalon. Dann wurde sie 2021 von der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung zur hauptamtlichen Dezernentin für Digitalisierung, Bürger*innenservice, Teilhabe und EU-Angelegenheiten gewählt. Die Tochter einer Türkin und eines Iren ist Mitglied der 2017 gegründeten paneuropäischen Partei Volt. Und mit 25 Jahren die jüngste Dezernentin in der Geschichte der Mainmetropole. Im Interview erzählt sie, wie sie in ihrer neuen Aufgabe in der Spitze der Stadtverwaltung angekommen ist - und warum gerade junge Parteien für mehr Vielfalt in der Politik sorgen könnten.

EAF Berlin: Sag mal Eileen, wie groß war der Schritt von der Studentin zur Dezernentin einer deutschen Großstadt?

Eileen: Der war riesig. Nach der Kommunalwahl im März letzten Jahres hat sich alles überschlagen. Wir standen ja als Volt auf einmal in einer Verantwortung, die wir so vorher nicht hatten. Und für mich als Person gilt natürlich dasselbe. So eine riesige Verantwortung hatte ich vorher auch noch nicht. Wir können nun Entscheidungen treffen, mit denen wir ganz real das Leben von Menschen beeinflussen. Das ist natürlich einerseits cool. Gleichzeitig muss man sich natürlich richtig gut überlegen, was man tut. Es ist ein ganz anderer Hebel, an dem man sitzt, der einen riesigen Spielraum für Verbesserungen für die Menschen bedeuten kann. Aber wenn man sich falsch entscheidet, eben auch sogar die Gefahr für Verschlechterungen. Und das ist schon etwas, vor dem ich großen Respekt habe und mir immer im Kopf klingt, wenn ich auf der Arbeit bin.  

EAF Berlin: Du wurdest mit 25 Jahren die erste Dezernentin für Volt überhaupt in Deutschland, bist damit für einen eigenen Geschäftsbereich mit Ämtern wie dem Bürgeramt zuständig. Bieten neue Parteien gute Möglichkeiten auch als junger Mensch schnell in politische Verantwortung zu kommen?

Eileen: Das glaube ich auf jeden Fall, einfach weil wir als junge Partei natürlich noch nicht so viele Leute haben. In Frankfurt wurden vier Leute von Volt in die Stadtverordnetenversammlung gewählt und das war für uns damals schon richtig krass, weil wir dachten, dass sich vielleicht die ersten zwei Listenplätze für ein Mandat bereithalten müssten. Und nur wenige Wochen nach mir wurde unser Parteikollege Holger Klötzner in Darmstadt zum Dezernenten für Digitalisierung und Schulen gewählt. Es ist schon etwas Besonderes erstmals so eine ausführende Position innezuhaben. Wenn man dabei ist und sich engagiert, dann kommt man in einer noch neuen Partei natürlich viel schneller in Verantwortungspositionen.

EAF Berlin: Sind junge Parteien dadurch auch offener für Menschen mit vielfältigen Hintergründen?

Eileen: Ich glaube, wir können festgefahrene Strukturen aufbrechen. Es gibt ja diese Kultur innerhalb von Parteien, dass man erst einmal die Ochsentour machen muss. Also dass man Plakate aufhängen, Flyer verteilen muss und so weiter. Und wenn man das dann fünf bis zehn Jahre gemacht hat, kann man irgendwann mal ein Mandat anstreben. Das ist bei uns anders. Dementsprechend glaube ich schon, dass genau diese neuen, aufgelockerten Strukturen auch ganz praktisch einen besseren Zugang für Menschen mit Migrationsgeschichte und für BPoCs schaffen können. Man bringt sich selbst mit und ein Interesse. Und dann kann man einfach mitmachen, ohne dass man bestimmte Voraussetzungen, bestimmtes Wissen oder eine Integration in bestimmte Communities braucht. Aber in der Praxis gestaltet sich das natürlich schwieriger. Da muss ich schon auch selbstkritisch mit uns als Partei sein und sagen, dass auch bei uns der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte längst nicht hoch genug ist. Ich glaube, das ist ein grundsätzliches, strukturelles Problem. Da sind wir nicht ausgenommen, nur weil wir neuere, agilere Strukturen haben. Hier muss ein Reflektionsprozess in der Gesamtgesellschaft stattfinden. Das Hinterfragen von eigenen Machtverhältnissen ist entscheidend. Und vielleicht muss man auch noch klarer in der Öffentlichkeit zeigen, wie wir arbeiten und dass man wirklich einfach so in eine Partei einsteigen kann.

EAF Berlin: Du bist Absolventin des Mentoringprogramms „Vielfalt" für mehr Frauen mit Migrationsbiografie in der Politik. Wie wichtig ist der Erfahrungsaustausch gerade beim Einstieg in die Politik?

Eileen: Der Austausch mit meiner Mentorin, der heutigen Bundestagsabgeordneten Ye-One Rhie von der SPD, war extrem wichtig für mich. Ich hatte in meinem Umfeld keine Person, die BPoC, weiter als ich in der Politik ist und mit der ich einfach mal reden konnte. Der  Austausch mit meiner Mentorin fand auf einer professionellen , aber auch auf einer emotionalen Ebene statt. Wir haben immer noch Kontakt und ich glaube, es ist wichtig Leute zu haben, vielleicht auch nicht in der gleichen Partei, die man einfach mal anrufen kann. Es gibt immer noch unfassbar wenige Vorbilder, die einem ähnlich sind, eine ähnliche Herkunft haben oder auch nur ähnlich aussehen. Und es bestärkt einen auf einer ganz anderen Ebene, wenn man dann jemanden hat, der es gepackt hat. Jemanden, der vielleicht die gleichen strukturellen Herausforderungen hatte.

EAF Berlin: Was sind deine wichtigsten Ziele als Dezernentin?

Eileen: Das allerwichtigste ist mir, dass wir in Frankfurt eine richtige Öffnung der Verwaltung mit institutionalisierter Bürgerbeteiligung erreichen. Dass wir Prozesse haben, mit deren Hilfe Menschen wirklich ihre Meinung kundtun können und dass diese Meinung dann auch von der Verwaltung wahrgenommen wird und in Entscheidungsprozesse einfließt. Wenn wir etwa auch Menschen aus einer schwächeren sozialen Schicht sagen können, eure Meinung ist wichtig und wir machen es euch einfach, sie kundzutun, dann ist das hoffentlich der erste Schritt diese Menschen zu empowern. Ich hoffe, dass sich so auch langfristig eine Generation bildet, die sagt, wir haben vielleicht eine Migrationsgeschichte, sind nicht im richtigen Stadtteil großgeworden oder sprechen kein perfektes Hochdeutsch, aber natürlich gestalten wir diese Stadt mit und sind selbstverständlich Teil dieser Gesellschaft. Ich glaube, das ist der nachhaltigste Ansatz, um mehr Menschen mit vielfältigerem Hintergrund in die Politik zu bringen.

EAF Berlin: Gibt es Dinge, die du seit deinem Einstieg in die Politik gelernt hast und auch anderen mit auf den Weg geben würdest?

Eileen: Was ich immer wieder festgestellt habe, von meiner ersten Kandidatur zur Europawahl über die Kommunalwahl bis jetzt ins Dezernat, ist tatsächlich, dass alle nur mit Wasser kochen. Und ich hatte durchaus auch Angst davor, vor richtig vielen Leuten zu sprechen, das eigene Vorgehen verteidigen zu müssen und auch mal angegriffen zu werden. Aber jeder Moment, so unangenehm er auch sein mag, geht vorbei. Es gibt ganz viele Kalte-Wasser Momente. Und ich für meinen Teil weiß das mittlerweile wertzuschätzen. Man lernt daraus. Und danach kann es eigentlich nur noch besser werden.

Über Eileen O'Sullivan

Eileen O'Sullivan ist Tochter einer Türkin und eines Iren. Sie ist Mitglied der 2017 gegründeten paneuropäischen Partei Volt und Absolventin des Mentoringprogramms „Vielfalt" für mehr Frauen mit Migrationsbiografie in der Politik. 2021 wurde sie von der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung zur hauptamtlichen Dezernentin für Digitalisierung, Bürger*innenservice, Teilhabe und EU-Angelegenheiten gewählt.