"Dieses Anliegen eint uns alle."
Herzlichen Glückwunsch zur erfolgreichen Kandidatur als Sprecherinnen! Sie alle haben selbst den Helene Weber-Preis erhalten. Was verbinden Sie seither mit diesem Netzwerk?
Kunert: Ich bin ja von der ersten Stunde an mit dabei und erlebe das mittlerweile entstandene Netzwerk als absolute Bereicherung. Es ist eine tolle Truppe von Preisträgerinnen und der Austausch mit den anderen Frauen bei den Begegnungen ist sehr wertvoll und inspirierend. Dabei spielt die jeweilige Parteizugehörigkeit überhaupt keine Rolle. Ich gehe wirklich aus jedem Treffen gestärkt heraus. Aber der Preis ist nicht nur ein Preis, sondern eine Aufgabe, sich dafür einzusetzen, noch deutlich mehr Frauen in die Kommunalpolitik zu bringen. Der Preis und das Netzwerk machen einen selbstbewusster. Man weiß, wofür man arbeitet.
Glybowskaja: Ich bin eher durch Zufall zum Netzwerk gekommen – ich kannte den Preis vorher nicht und habe mich natürlich sehr gefreut, als ich dafür vorgeschlagen wurde. Dabei war mir in dem Moment noch gar nicht klar, welch großes Netzwerk sich dahinter verbirgt. Das zu entdecken, fand ich von Beginn an total interessant und in der Tat sehr stärkend. Dabei wurde sehr schnell deutlich, dass wir alle ähnliche Themen und Herausforderungen in unserer Arbeit erleben und was die alten Strukturen für uns Frauen bedeuten. Dabei mitzuhelfen, dass sich zum einen mehr Frauen trauen in die Politik zu gehen, es ihnen zum anderen aber auch leichter gemacht wird - das finde ich ein ganz wichtiges Anliegen.
Wulff: Ja, dieses Anliegen eint uns alle: Mehr Frauen in die Kommunalpolitik und Parlamente zu bekommen. Ich kannte den Preis tatsächlich auch nicht und erlebe die Gruppe der Preisträgerinnen nun genauso wie meine Kolleginnen: Als ein ganz tolles Netzwerk, aus dem ich auch persönlich schon viele Anregungen für meine eigene Arbeit mitgenommen habe. Wir stärken und unterstützen uns gegenseitig. Mir macht die Kommunalpolitik nochmal mehr Spaß, seit ich Teil des Netzwerks bin.
Über alle Parteigrenzen hinweg: Welche Erfahrungen und Probleme verbinden Sie als Frauen in der Kommunalpolitik?
Glybowskaja: Es sind erstmal die Rahmenbedingungen der politischen Arbeit. Die Frage, welche Positionen Frauen überhaupt zur Verfügung stehen werden, wie die Listen vor Wahlen erstellt werden, wie Positionen in Parteien und Fraktionen vergeben werden oder wie welche Ausschüsse besetzt werden. Hierbei geht es oft auch um Zeitmanagement. Wann finden etwa die Sitzungen statt und wo werden Absprachen wirklich getroffen, im Parlament oder doch eher hinterher beim Bier im Nachklatsch? Darüber hinaus wirken sich die Strukturen auch direkt auf die inhaltliche Ebene aus, wenn es darum geht, welche Themen überhaupt platziert und behandelt werden in der Politik. So finden bestimmte Themen im Bereich Bildung, Soziales, Sicherheit oft nicht den notwendigen Raum in den Stadtparlamenten oder Ausschüssen, schlicht deshalb, weil sie häufiger Frauen tangieren und diese unterrepräsentiert sind in der Politik. Die dritte Ebene betrifft die Kommunikationskultur und Selbstpräsentation. Wie kann ich mich zum Beispiel durchsetzen in Gesprächen, wie wird mir zugehört?
Kunert: Frauen haben generell eine andere Sichtweise, einen anderen Blickwinkel, alleine schon durch die Erfahrungen in der Kinderbetreuung, der Pflege. Das einzubringen in die Kommunalparlamente ist manchmal nicht so einfach, weil weniger Frauen da sind. Das Netzwerk bietet uns die Möglichkeit, uns auszutauschen und gegenseitig zu fragen: Wie habt ihr das denn gemanagt oder wie verkauft ihr das euren männlichen Kollegen? Das ist sehr gewinnbringend und man erfährt auch oft, dass es woanders schon Entscheidungen oder Vorschläge gab, die man selbst auch einmal einbringen könnte ins Parlament und die Kommunalarbeit.
Wulff: Ob Frauen in den Gremien sind, spielt wirklich eine große Rolle für die Politik selbst. Das habe ich auch in Pforzheim so erlebt. Als ich dort als Stadträtin gewählt wurde, wollte ich unbedingt in den Ausschuss für Wirtschaft und Digitalisierung, den ich mir durchaus hart erkämpfen musste. Anfangs war ich die einzige Frau in diesem Gremium und lange Zeit die einzige Stimme, die immer mal wieder auch gefragt hat, was denn auch für Unternehmerinnen-Förderung getan wird oder welche Auswirkungen scheinbar positive Entscheidungen für Frauen haben, ob sie sich z.B. nachts unwohler fühlen in einem automatischen Bus ohne Fahrer. Solche Themen wurden von den männlichen Kollegen überhaupt nicht mitgedacht und umso wichtiger ist es, dass Frauen in größerem Maße vertreten sind als jetzt.
Als neue Sprecherinnen starten Sie nun Ihre Arbeit. Was sind Ihre Ziele – woran möchten Sie anknüpfen, was neu angehen?
Wulff: Für uns ist ganz klar: Wir müssen diesen tollen Preis noch bekannter machen und zeigen, was ihn ausmacht. Das bedeutet konkret, dass wir die Öffentlichkeitsarbeit vorantreiben wollen, um mehr Leute zu erreichen. So planen wir zum Beispiel, die Preisträgerinnen via Steckbriefe auf Instagram und Facebook vorzustellen. Außerdem wollen wir die Homepage dahingehend überarbeiten, dass Außenstehende noch schneller fündig werden, wenn sie etwa eine Expertin zu einem bestimmten Thema suchen. Auf jeden Fall weiterführen möchten wir die seit Corona bewährten digitalen Formate wie den Lunch Talk. Und was die Präsenzveranstaltungen anbelangt, sollen diese künftig nicht nur in Berlin, sondern auch im Rest der Republik stattfinden, um eine breitere Bekanntheit zu erreichen.
Glybowskaja: Bei allen Ideen wollen wir natürlich anknüpfen an die vielen Erfolge von unseren Vorgängerinnen. Der Kern sind hierbei auch weiterhin die Netzwerktreffen und der Austausch untereinander, ergänzt durch die hochwertigen Inputs von Referentinnen, z.B. zu Themen wie Rhetorik oder Social-Media. Einige dieser Formate möchten wir in Zukunft auch öffnen für Frauen, die noch keine Preisträgerinnen sind, aber sich für Kommunalpolitik interessieren. Außerdem möchten wir die individuellen Kompetenzen der einzelnen Preisträgerinnen noch stärker vernetzen. Jede von uns bringt ja enorm viel Wissen und Erfahrung mit und ein großes eigenes Netzwerk. Davon können wir alle profitieren.
Kunert: Wir wollen in den nächsten Jahren auch noch mehr über den Tellerrand gucken und über Deutschland hinaus. Wir haben ja schon einen spannenden Austausch mit Frankreich erlebt, mit Tunesien und jetzt gerade mit Frauen in der Ukraine... Hier weiter und noch stärker ins Gespräch zu kommen und zu überlegen, was wir voneinander lernen können, ist ein wichtiges Zeichen auch in Richtung Frieden.
Ein bisschen provokant gefragt: Braucht es heute überhaupt noch ein Netzwerk nur für Frauen?
Glybowskaja: Ja, definitiv. Mindestens so lange, bis wir die 50 Prozent haben.
Kunert: Ja, es braucht es tatsächlich. Leider entwickelt sich nicht zwingend alles nach vorne, sondern es kann jederzeit wieder Rückschritte geben. Das haben wir ja sehr deutlich erlebt: Bevor es in der Wirtschaft keine Quote gab, hat sich nicht viel getan. Nach wie vor gibt es so viele Themen: die Gleichheit im Verdienst, die Vergabe der Mandate oder die Gestaltung der Strukturen… Da ist noch viel zu tun und mit der Freiwilligkeit ist es leider nicht besonders weit her. Deswegen glaube ich, dass Frauen weiterhin dafür kämpfen müssen, gleichwertig gehört zu werden und repräsentiert zu sein. Das sagt ja auch der Preis. Damals hat Helene Weber mit ihren Kolleginnen erfolgreich für die Gleichberechtigung im Grundgesetz gekämpft und wenn sie das nicht gemacht hätten, stünde das nicht da. Außerdem: Männer haben ja auch ihre Netzwerke. Deshalb sollten wir die auch haben.
Wulff: Dem kann ich mich nur anschließen.
Wenn Sie einen Wunsch hätten: Was soll in zehn Jahren durch und mit dem Netzwerk erreicht worden sein?
Kunert: Viel mehr Frauen in die Politik. Das ist unser oberstes Ziel und unser Anreiz. Dazu gehört auch das weitere Vernetzen und Mithelfen dabei, dass sich die einzelnen Kommunen und unser Land insgesamt weiterentwickeln.
Glybowskaja: In zehn Jahren ist unser Netzwerk vielleicht auf fast 100 Frauen angewachsen, mit denen wir dann Multiplikatorinnen haben, die von der Bundesebene bis hinein in die kleinste Kommune wirken und Ansprechpartnerinnen sind für alle Frauen, die sich auch engagieren möchten.
Wulff: Absolut. Wenn wir die sehr gute Arbeit, die in den letzten Jahren gelaufen ist, weiterführen und noch weiter öffnen und nach außen tragen, dann ist es unsere klare Vision, dass keiner mehr daran vorbei kommt, dieses Netzwerk zu kennen und es auch konkret zu fragen, wenn es um unsere Themen geht. Hier ist so viel Expertise da und Kompetenz. Das soll das Netzwerk in zehn Jahren sein: Ein Netzwerk, das gesehen und gewürdigt wird und vor dem man Respekt hat.