Die Wegbereiterinnen
Das Wahlrecht für Frauen wurde von politischen Wegbereiterinnen wie Anita Augspurg, Marie Juchacz, Helene Lange oder Clara Zetkin erstritten und erkämpft. Die tatsächliche Gleichstellung der Frau in der Verfassung folgte jedoch erst viele Jahre später. 1949 setzten die vier Mütter des Grundgesetzes, Elisabeth Selbert, Helene Weber, Frieda Nadig und Helene Wessel Artikel 3 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.” im Grundgesetz durch.
Elisabeth Selbert (1896–1986)
Die Sozialdemokratin und Juristin formuliert als eine der vier „Mütter des Grundgesetzes“ den Gleichheitsgrundsatz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. In zähen Verhandlungen setzt sie 1949 die Aufnahme von Artikel 3 im Grundgesetz durch.
»Die geringe Beteiligung von Frauen in den Parlamenten ist Verfassungsbruch in Permanenz.«
frei zitiert nach Elisabeth Selbert, 1981
In einer Verfassung legt ein Staat seine guten Absichten und Ansprüche nieder. Die Verfassung ist die Theorie, und erst die ausführenden Gesetze machen deren praktische Umsetzung möglich, und sie dürfen der Verfassung nicht widersprechen. Tun sie es doch, können die BürgerInnen vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Selberts Gleichberechtigungsgrundsatz machte die meisten familienrechtlichen Bestimmungen des BGB zu verfassungswidrigen Klagegründen.
Elisabeth Selbert begann 1926, als Mutter von zwei Söhnen, mit Unterstützung ihres Mannes und ihrer Eltern im Alter von 30 Jahren ihr Studium. Sie war eine der ersten Frauen, die zum Jurastudium zugelassen wurden: »in Göttingen …. kamen auf 300 Studenten im ›Audimax‹ ganze 4 bis 6 Frauen. In Marburg … ließ mich der alte Professor Hildebrandt gelegentlich … bitten, zur nächsten Vorlesung nicht zu kommen, weil er über Sexualdelikte sprechen wollte. Er hatte da wohl Schwierigkeiten vor seiner einzigen Studentin.«
1930 promoviert Selbert über »Die Zerrüttung als Ehescheidungsgrund« – 47 Jahre bevor die sozialliberale Koalition das »Schuldprinzip« abschaffte.
Was diese Frau vor allem auszeichnete, war ihr ebenso unerschrockener wie praktischer Eigen-Sinn. Und so verwundert es nicht, dass sie ihren Beruf als Anwältin vor allem deswegen liebte, weil »man [damit] seine Eigenart und vor allem seine Eigenständigkeit bewahren kann« und jungen Kolleginnen den Rat gab: »So schnell wie möglich eine eigene wirtschaftliche Existenz aufbauen!«
In ihrer aktiven Zeit wurde Elisabeth Selbert nie ihrem Rang und Format entsprechend von der SPD gewürdigt oder eingesetzt: »Das Amt der hessischen Justizministerin, ein Bundestagsmandat, Richterin am neu eingerichteten Bundesverfassungsgericht, Richterin beim Bundessozialgericht in Kassel – alle diese Ämter blieben ihr verwehrt« (Politeia-Webseite). Über einen Sitz im Hessischen Landtag kam sie nicht hinaus. Umso stetiger wächst ihr Nachruhm, seit die zweite Frauenbewegung in ihr eine der deutschen Leitfiguren wiederentdeckt hat. Viele deutsche Straßen, Plätze und Schulen werden seither nach Elisabeth Selbert benannt.
(Text von 1990, seither mehrfach geringfügig aktualisiert)
Marie Juchacz (1879–1956)
Die deutsche Frauenrechtlerin und Sozialdemokratin spricht am 19. Februar 1919 als erste Frau in der Weimarer Nationalversammlung. Juchacz ist Gründerin der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und Verfechterin der solidarischen Sozialpolitik.
»Zum ersten Mal spricht die Frau als freie und gleiche im Parlament.«
frei zitiert nach Marie Juchacz, 1919
„Die Frauen … wollen keinen Bürgerkrieg, wollen keinen Völkerkrieg… Die Frauen … durchschauen die Hohlheit einer Politik, die sich als besonders männlich gibt, obwohl sie nur von Kurzsichtigkeit, Eitelkeit und Renommiersucht diktiert ist. Dieser Politik, der nationalsozialistischen Politik, mit allen Kräften entgegenzutreten, zwingt uns unsere Liebe zu unserem Volke…“
Mit diesen mutigen und klaren Worten greift die langjährige SPD-Reichstagsabgeordnete Marie Juchacs 1932 als einzige Frau in die tumultartige Debatte um die Reichspräsidentenwahl ein. Schon 1919 war sie die erste Frau gewesen, die in einem deutschen Parlament, der Weimarer Nationalversammlung, das Wort ergriffen hatte. Sie hatte die Freiheit und Gleichberechtigung der Frauen eingefordert und die Sozialpolitik zur Hauptaufgabe der Frauen erklärt. Als Abgeordnete setzte sie sich vor allem für Kinder- und Jugendgesetzgebung, fortschrittliche Wohlfahrtsgesetze und für Frauenrechte ein. So verfocht sie die Straffreiheit bei Abtreibungen im ersten Trimester und sprach 1926 vor dem Parlament von den seelischen Konflikten der Arbeiterfrauen, die aus Verantwortungsgefühl und Verzweiflung abtreiben.
Sie selbst hatte in ihrer Jugend in der Kleinstadt Landsberg unverdiente wirtschaftliche Not kennengelernt, auch schwere Fabrikarbeit geleistet, und als intelligente, wissbegierige Schülerin darunter gelitten, dass das Geld nur für die schlechte Volksschule reichte. Ihr Bruder hatte sie zur SPD gebracht und ihr damit neue Hoffnungen und Ziele eröffnet. Mit ihrer geliebten Schwester Elisabeth Kirschmann-Röhl, die ihre engste Verbündete und Vertraute war, ging sie nach ihrer kurzen Ehe nach Berlin, wo die beiden Frauen gemeinsam ihre Kinder erzogen und sich neben ihrer Erwerbsarbeit als Schneiderinnen in den Frauenarbeitervereinen der SPD engagierten. Bald waren sie gefragte Rednerinnen.
Seit 1917 war Juchacz hauptberuflich als Frauensekretärin im SPD-Vorstand. Als nach dem 1. Weltkrieg die SPD-Frauen wieder aus der Wohlfahrtsarbeit hinausgedrängt werden sollten, gründete Juchacz 1919 mit der Arbeiterwohlfahrt eine eigene Wohlfahrtsorganisation für die SPD. Unter ihrer Leitung und durch die engagierte Arbeit vor allem von Frauen auf allen Ebenen war die Organisation schnell überall in Deutschland erfolgreich. Der zentrale Gedanke war die solidarische Selbsthilfe der ArbeiterInnen statt gönnerhafter Wohlfahrt durch bürgerliche Organisationen. Juchacs versuchte, Prinzipien sozialistischer Wohlfahrtspflege umzusetzen. So entstanden fortschrittliche Heime wie der Immenhof und eine Wohlfahrtsschule zur Ausbildung von Fürsorgerinnen in Berlin.
1933 bedeutete ein abruptes Ende dieser erfolgreichen Aktivitäten. Juchacz mußte vor den Nazis fliehen, erst nach Frankreich, dann in die USA. Aber selbst in den schwierigen und gefährlichen Jahren des Exils fand sie noch Möglichkeit zu helfen. In Frankreich organisierte sie Mittagstische für EmigrantInnen und später in New York baute sie die ” Arbeiterwohlfahrt USA - Hilfe für die Opfer des Nationalsozialismus” auf. Seit 1949 wieder in Deutschland, begleitete sie als Ehrenpräsidentin den Wiederaufbau der AWO mit den letzten Kräften, die ihr geblieben waren.
Verfasserin: Gabriele Koch für fembio.org
Mehr über Marie Juchacz und ihre Mitstreiterinnen erfahren Sie auf fembio.org.
Helene Lange (1848–1930)
Als Pädagogin, Frauenrechtlerin, Politikerin und Herausgeberin der Zeitschrift „Die Frau“ veröffentlicht sie 1896 eines der ersten deutschen Plädoyers für das Frauenwahlrecht und setzt sich insbesondere für gleiche Bildungs- und Berufschancen für Frauen ein.
»Dass die Männer die Interessen der Frauen wahren ist Fiktion.«
frei zitiert nach Helene Lange, 1896
Helene Lange hat grundsätzlich nie einen Brief aufbewahrt – “Privates fand sie nicht so interessant” (Gertrud Bäumer). Über persönliche Erlebnisse und Gefühle hat sie in ihren Lebenserinnerungen (1921) kaum etwas geschrieben. Umso größeren Raum nehmen die Berichte über den Kampf um die Verbesserung der Mädchen- und Lehrerinnenbildung in Preußen ein. Bekannt geworden als Verfasserin der sogenannten “Gelben Broschüre” (1887), in der sie in scharfer Form die Mädchenbildung kritisiert, gründet sie 1890 den Allgemeinen deutschen Lehrerinnenverein (ADLV). Aufgrund ihrer Initiative machen 1896 erstmals sechs Frauen die Reifeprüfung in Berlin. Helene Lange hat entscheidend dazu beigetragen, Frauen bürgerlicher Schichten das Studium in Deutschland zu ermöglichen und ihnen Berufsmöglichkeiten zu eröffnen.
Den Lebenserinnerungen läßt sich – trotz aller Verschlossenheit in “Gefühlsdingen” – entnehmen, wie sehr Helene Lange, geboren am 9. April 1848 in einem mittelständisch-kaufmännischen Elternhaus in Oldenburg, als kleines sechsjähriges Mädchen die verstorbene Mutter vermißt hat. Diese Sehnsucht nach der Mutter mag sich in ihren Auffassungen über die Wesensverschiedenheit der Geschlechter niedergeschlagen haben: Mütterlichkeit ist für sie die Wesensbestimmung der Frau, auch der kinderlosen. Als Ziel schwebt ihr vor, die männlich geprägte Welt mit all ihren Fehlentwicklungen durch den weiblichen Kultureinfluß zu verbessern. Sie leistet allerdings damit der Gefahr Vorschub, Frauen auf Ehe und Familie oder auf die typisch weiblichen Lehr- und Sozialberufe zu beschränken.
Die Betonung der Mütterlichkeit ist denn auch von der zweiten Frauenbewegung vielfach kritisiert worden. Unbestritten gilt Helene Lange aber als die bedeutendste Repräsentantin des gemäßigten Flügels der deutschen Frauenbewegung. Von 1894 bis 1905 war sie Vorstandsmitglied des Bundes deutscher Frauenvereine und Vorsitzende des Allgemeinen deutschen Frauenvereins. Helene Lange litt an einer Augenkrankheit und hätte ohne die Hilfe Gertrud Bäumers (1873-1954) nicht weiterarbeiten können. Sie wurden Lebensgefährtinnen und gaben gemeinsam das fünfbändige Handbuch der Frauenbewegung, ein Standardwerk über die erste deutsche Frauenbewegung, und die Zeitschrift “Die Frau” (1893ff) heraus. Helene Lange starb im Alter von 82 Jahren am 13. Mai 1930.
(Text von 1987)
Anita Augspurg (1857–1943)
Die erste promovierte Juristin Deutschlands gründet 1902 den „Deutschen Verein für Frauenstimmrecht" und gibt die „Zeitschrift für Frauenstimmrecht" heraus. Mit ihrer Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann führt sie ein selbstbestimmtes Leben außerhalb der damaligen gesellschaftlichen Konventionen
»Was verstehen wir unter dem Rechte der Frau? Nichts anderes als das Recht des Menschen überhaupt!«
Anita Augspurg, 1897
Sie war eine Rebellin in ihrem Denken und Handeln, ihren Gegnerinnen missfiel sie, ihre Befürworterinnen bewunderten sie, gleichgültig war sie niemandem.
Die Rede ist von Anita Augspurg, einer bedeutenden oder sogar der bedeutendsten Frau des sogenannten radikalen Flügels der ersten Frauenbewegung, der vor allem durch seinen Einsatz für das Frauenstimmrecht Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt wurde.
Anita Augspurg wurde am 22. September 1857 in Verden an der Aller, einer niedersächsischen Kleinstadt, geboren. Ihr Vater war Landgerichtsrat und Notar, ihre Mutter kam wie der Vater aus einer Akademikerfamilie. Die Tochter, einen Nachkömmling (vor ihr waren schon zwei Schwestern und zwei Brüder geboren worden) erzogen sie liebevoll und freiheitlich - beste Voraussetzungen, um Selbstbewusstsein und eigenen Willen eines Kindes zu fördern.
Erste Versuche nach Beendigung der Schulzeit, sich als Schauspielerin den Lebensunterhalt zu verdienen, scheiterten; erfolgreich war dann aber die Einrichtung eines Fotoateliers mit der Freundin Sophia Goudstikker in München im Jahre 1887. Beide Frauen durchbrachen mit ihrem Aussehen und Verhalten die Schranken bürgerlich-weiblicher Schicklichkeit. Sie trugen einen kurzen Haarschnitt, Pluderhosen, fuhren Fahrrad und ritten im “Herrensitz” auf ihren Pferden.
Auf Dauer genügte Anita Augspurg das Geschäfts- und Bohèmienneleben in München nicht. Nach ersten Kontakten mit der Frauenbewegung in München und der Beschäftigung mit der Rechtsstellung von Frauen entschloss sie sich zu einem Jurastudium in Zürich, das sie 1897 mit dem Dr. jur abschloß. Ein Jahr später gründete sie mit der Freundin und späteren Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann in Hamburg einen ersten deutschen Zweigverein der Internationalen Abolitionistischen Föderation (IAF). Diese aus Amerika kommende Organisation kämpfte gegen die Freiheitsbeschränkungen von Prostituierten. Sich in Deutschland für Prostituierte einzusetzen, war damals ein kühnes Unterfangen. Anfang 1902 gründete Anita Augspurg, wiederum gemeinsam mit Lida Gustava Heymann, in Hamburg den ersten deutschen Stimmrechtsverband - Frauen waren von allen Wahlrechten, dem Dreiklassenwahlrecht und dem demokratischen zum Reichstag ausgeschlossen. Das Frauenstimmrecht forderte bis zu diesem Zeitpunkt nur die sozialdemokratische Partei, nicht einmal die bestehenden Frauenorganisationen. Mit der Gründung des Stimmrechtsvereins hatte sich endgültig der radikale Flügel der Frauenbewegung herausgeschält, der mit Aktionen und auch spektakulären Auftritten auf sich aufmerksam machte.
Im ersten Weltkrieg gehörte Anita Augspurg zu der kleinen Gruppe von Kriegsgegnerinnen; 1915 nahm sie mutig an der daheim verfemten internationalen Frauenfriedenskonferenz in Den Haag teil.
Erschüttert über das Scheitern einer ersten demokratischen Staatsform nach dem Tod Kurt Eisners, lebten Augspurg und Heymann bis 1933 zurückgezogen in Bayern. Als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, kehrten sie von ihrer jährlichen Winterreise nicht mehr nach Deutschland zurück. Mittellos, unterstützt von Freundinnen aus der internationalen Frauenbewegung, zogen sie in den ersten Jahren zwischen den Wohnungen von FreundInnen in der Schweiz und in anderen Ländern hin und her; ab 1937 wohnten sie in einer Dachwohnung in Zürich. Anfang 1943 erkrankte Lida Gustava Heymann an Krebs; am 31. Juli starb sie - es fiel ihr unendlich schwer, Abschied von der hilfsbedürftigen, an Altersdemenz leidenden Freundin zu nehmen. Anita Augspurg starb, knapp fünf Monate später, am 20. Dezember 1943 in Zürich.
(Text von 2006)
Clara Zetkin (1857–1933)
Die sozialistische Politikerin, Friedensaktivistin und Frauenrechtlerin gilt als prägende Initiatorin des Internationalen Frauentages, der in Deutschland erstmalig im März 1911 gefeiert wurde. Der Tag war als Kampftag für das Frauenwahlrecht entstanden.
»Lassen wir uns nicht schrecken durch die Ungunst äußerer Umstände.«
frei zitiert nach Clara Zetkin, 1917
1891 war die Sozialistin, Kommunistin, Feministin und Pazifistin nach dem Tod ihres russischen Lebensgefährten Ossip Zetkin mit ihren beiden acht- und neunjährigen Söhnen aus dem Pariser Exil nach Deutschland zurückgekehrt. In Stuttgart übernimmt sie 1892 die Herausgabe der sozialdemokratischen Frauenzeitung Die Gleichheit, für die sie bis 1917 verantwortlich ist.
Sie setzt sich für das Recht der Frauen auf Erwerbstätigkeit und für ihre gewerkschaftliche Organisierung ein. Denn mit Frauen, die „den Reichtum ihrer Gefühle in einem Fingerhut oder in einem Kochtopf“ gefangen halten, lässt sich keine Revolution machen. Sie kämpft für das Frauenwahlrecht und die Abschaffung des § 218. Auf ihre Initiative finden ab 1900 parallel zu den Parteitagen Frauenkonferenzen statt, und als dies 1910 von der sozialdemokratischen Führung unterbunden wird, erfindet sie den Internationalen Frauentag.
„Sie spricht wie eine Frau, der außerordentliche Umstände die Kenntnisse und Fähigkeiten eines Mannes gegeben haben, wie eine geniale Frau ... Sie ist einfach die in hohem Grad vollendete Erscheinung der neuen Frau ... die Frau, die dem Mann gleich ist“, schrieb Louis Aragon, der sie 1912 in Basel beim Internationalen Sozialisten-Kongress erlebt. „Die Frau dem Mann gleich“? „Stell Dir vor, Clara hätte ihr Mandat schon und säße mit Rosa im Reichstag! Da würdet ihr erst was erleben ... lächerlich!“ schrieb Victor Adler 1910 höhnisch an Kautsky.
Als die SPD-Fraktion am 3. August 1914 die Kriegskredite bewilligt, tritt Clara Zetkin aus der Partei aus und gründet mit Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und anderen 1917 die USPD. 1920 tritt sie der KPD bei und wird Mitglied des Reichstags. „Im Geist“ von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die im Januar 1919 ermordet worden sind, will sie „unter den Massen und mit den Massen arbeiten und kämpfen.“ Aber die sektiererische Politik der KPD, die der SPD „Sozialfaschismus“ vorwarf, und die zunehmende Stalinisierung der Komintern machten eine Zusammenarbeit der beiden großen Arbeiterparteien unmöglich.
Geschwächt, fast blind appellierte die Alterspräsidentin am 30. August 1932 im überfüllten Reichstag, in dem die Naziabgeordneten in SA- und SS-Uniform dominierten, an „die Einheitsfront aller Werktätigen, um den Faschismus zurückzuwerfen“. Ihr Appell blieb ohne Echo.
Helene Wessel (1898–1969)
Als einzige Frau übernimmt sie 1949 den Vorsitz einer Bundestagsfraktion – der Deutschen Zentrumspartei – im ersten Deutschen Bundestag. Wessel engagiert sich insbesondere für die Rolle von Frauen in der Familie und der Ehe und unterstützt die Durchsetzung von Artikel 3 im Grundgesetz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“.
»Frauen müssen sich in die staatsbürgerlichen Aufgaben einmischen.«
frei zitiert nach Helene Wessel, 1930
Die Zentrums-Partei schickte Helene Wessel 1928 als jüngste Abgeordnete in den preußischen Landtag, wo sie sich bald als Fachfrau für Fürsorgefragen profilierte. Ihre politische Karriere wurde mit Beginn der NS-Zeit unterbrochen. Als „politisch unzuverlässig“ eingestuft, überlebte sie u. a. als Fürsorgerin in einem katholischen Frauenverein. „Ich habe mich sehr unsichtbar gemacht, um der Gestapo keine Angriffsflächen zu bieten“, sagte sie später. Aber es gibt auch jenes 1934 erschienene Buch von ihr: Bewahrung – nicht Verwahrlosung, das der entsetzlichen Sprache und Philosophie des Nationalsozialismus verpflichtet ist. Allerdings enthält es im Fazit auch moderne humane Forderungen nach „Wohn- und Lerngruppen“ und nach einer „sinnvollen Arbeitsteilung“.
Nach 1945 widmete Helene Wessel ihre ganze Kraft der Wiederbegründung des Zentrums, deren erste Vorsitzende sie 1949 wurde (gewählt mit 95% der Stimmen). Damit war sie – nach Rosa Luxemburg - die erste Frau in der deutschen Parteiengeschichte, die an der Spitze einer Partei stand: Eine kämpferische Katholikin, die überzeugt war, dass die Umgestaltung der Gesellschaft nur mit Hilfe der Frauen möglich sein würde. So forderte sie schon damals eine Frauenquote.
1948/49 gehörte sie als eine von vier Frauen dem Parlamentarischen Rat an und arbeitete am Grundgesetz mit, stimmte dann aber gegen den endgültigen Entwurf. Der Kalte Krieg brachte sie auch in Widerspruch zur eigenen Partei. Sie engagierte sich in der Anti-Atombewegung und rief 1951 zur „Notgemeinschaft für den Frieden Europas“ auf, stellte sich gegen die Wiederbewaffnung – und damit gegen Bundeskanzler Adenauer, mit dem sie sich berühmte Rededuelle lieferte. Nur ein bündnisfreier Status würde, ihrer Meinung nach, die endgültige Teilung Deutschlands verhindern. Zusammen mit Gustav Heinemann gründete Wessel 1952 die Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP). Nachdem die GVP bei den Wahlen gescheitert war, fand Helene Wessel ihre endgültige politische Heimat in der SPD. Einmal noch mischte sie sich vehement in die politische Debatte ein, als 1968 die Notstandsgesetze verhandelt wurden. Sie stimmte dagegen mit der Begründung, sie habe die Auswirkungen des Ermächtigungsgesetzes unter Hitler erlebt.
Gustav Heinemann, inzwischen Bundespräsident, würdigte die Weggefährtin, als sie 71jährig starb: „Sie war eine gütige und tapfere Frau, die die Fähigkeit besaß, mit anderen zu fühlen, mit Mut und Entschlossenheit öffentlich zu wirken und für soziale und politische Reformen zu kämpfen.“ (1997 geschrieben zum 100. Geburtstag 1998)
Helene Weber (1881–1962)
Als eine der »vier Mütter des Grundgesetzes« setzte sie Artikel 3 »Männer und Frauen sind gleichberechtigt« im Grundgesetz durch. Sie war ein aktives Mitglied der katholischen Frauenbewegung, Mitbegründerin der CDU Frauen Union und engagierte sich für die Lohngleichheit von Männern und Frauen.
»Der reine Männerstaat ist das Verderben der Völker.«
Helene Weber, 1949
Frieda Nadig (1897–1970)
Die SPD-Politikerin engagierte sich im Parlamentarischen Rat für die Durchsetzung von Artikel 3 im Grundgesetz. Bis 1961 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages und setzte sich unermüdlich für eine konsequente Umsetzung des Gleichberechtigungsartikels ein.
„Bei der Verkündung des Grundgesetzes und des in ihm enthaltenen Art. 3 ging eine freudige Bewegung durch die Reihen der Frauen.“
Frieda Nadig, 1952