Bundestagswahl 2021

Fortschritt im Schneckentempo

 Die Anteile der Kandidatinnen und Kandidaten variieren stark nach Partei und Bundesland

Eine Einschätzung von Helga Lukoschat

Nach der Wahl zum 19. Bundestag 2017 war die Anzahl der weiblichen Abgeordneten auf den Stand von vor 20 Jahren gesunken. Neben der stark männlich dominierten AfD war der Rückgang auch den vergleichsweisen geringen Anteilen bei der FDP sowie bei CDU/CSU geschuldet. Ebenso waren in den Landesparlamenten, bis auf wenige Ausnahmen, Rückgänge zu verzeichnen.  Dies führte zur einer intensiven öffentlichen Debatte, wie die gleichberechtigte Teilhabe in den Parlamenten erreicht werden kann – rund 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland.

Wird es im neuen Bundestag besser aussehen? Dies wird zum einen von den Nominierungen von Frauen auf (aussichtsreichen) Listenplätzen und in den Wahlkreisen abhängen, zum anderen davon, in welcher Stärke die jeweiligen Parteien, die sich in dieser Frage erheblich unterscheiden, in den Bundestag einziehen werden.

Die EAF Berlin hat in den vergangenen Wochen kontinuierlich über die Frauen- bzw. Männeranteile[1] bei den Kandidaturen für die Wahl zum 20. Bundestag berichtet. Untersucht wurden die sechs aktuell im Bundestag vertretenen Parteien mit ihren jeweiligen 16 Landeslisten sowie die Nominierungen für die 299 Direktwahlkreise. Das Monitoring fand im Rahmen des vom BMFSFJ geförderten Helene Weber-Kollegs statt, einer parteiübergreifenden Plattform für Frauen in der (Kommunal-)Politik, welche von der EAF Berlin koordiniert wird.

Den Stichtag für die Nominierungen bildete der 19. Juli 2021[2]. Auf dieser Grundlage lassen sich bereits einige Tendenzen ablesen: Erneut sind deutlich mehr Frauen auf den Landeslisten der Parteien als in den Wahlkreisen aufgestellt. Auf den Landeslisten liegt der Anteil der kandidierenden Frauen vergleichsweise hoch und beträgt durchschnittlich 41 Prozent. 2017 lag er bei 36 Prozent.

Bei den Wahlkreisen liegt der Anteil der nominierten Frauen im Durchschnitt über alle Parteien hinweg bei einem Drittel (30 Prozent). Dennoch ist ein leichter Anstieg des Frauenanteils im Vergleich zu 2017 (27 Prozent) zu verzeichnen.  Der Unterschied zwischen Listen und Wahlkreisen wird damit fortgeschrieben und wird aller Voraussicht nach mit dazu beitragen, dass auch im neuen Bundestag Frauen, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, weiterhin unterrepräsentiert sind.

Die Landeslisten im Überblick

Weiterhin bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Parteien. Bei den Grünen und den Linken weisen die Listen aufgrund der internen Quoten-Regelungen 55 und 51 Prozent aus, bei der SPD sind es 44 Prozent.

Bei der CDU wird ein durchschnittlicher Anteil von 43 Prozent auf den Landeslisten erreicht. Allerdings sehen die Landeslisten sehr unterschiedlich aus: das CDU-interne Ranking führen Bremen und das Saarland mit 60 Prozent Kandidatinnen an, die Schlusslichter bilden Thüringen mit 27 Prozent und Sachsen-Anhalt mit 23 Prozent.

Bei der CSU wurde die Liste erstmals in der Geschichte der Partei strikt paritätisch besetzt (gegenüber 27 Prozent in der Wahl 2017). Allerdings relativiert sich diese positive Entwicklung durch den deutlich geringeren Anteil bei den Wahlkreisen.

Auf Platz 5 und 6 im Parteienranking bei den Landeslisten liegen FDP und AfD mit jeweils 25 bzw. 14 Prozent.

Für diejenigen Parteien, die keine alternierende Besetzung der Listen mit Frauen und Männern vorsehen, ist zudem zu beachten, inwieweit Frauen auf den vorderen, aussichtsreichen Plätzen aufgestellt wurden oder stärker auf den weniger aussichtsreichen Plätzen zu finden sind.

Auf einige Besonderheiten sei noch hingewiesen: in NRW ist die Landesliste der SPD zwar lediglich zu 30 Prozent mit Frauen besetzt. Die Frauen finden sich jedoch im vorderen, alternierend besetzten Teil der Liste, während die Männer gehäuft auf den hinteren Plätzen aufgestellt worden sind. Auf der Landesliste der Grünen in Bayern kandidiert eine nicht-binäre Person.

Direktmandate überwiegend von Männern besetzt

Aufschlussreich ist der Blick in Bezug auf die Direktmandate vor allem für die Parteien, die vor- bzw. überwiegend die Abgeordneten über Wahlkreise gewinnen. Direkt gewählte Abgeordnete sind, unabhängig vom Zweitstimmenanteil, in jedem Fall im Bundestag vertreten (sog. Überhangmandate). Damit verringern sich stark die Chancen ein Mandat zu erringen für die Personen, die nur auf der Liste aufgestellt wurden.

  • Die CSU konnte 2017 alle 46 bayerischen Wahlkreise für sich verbuchen und erzielte damit zahlreiche Überhangmandate.  Daher stellt sich die Frage, welche Bedeutung die Landesliste für die Wahl 2021 tatsächlich haben wird.  Denn in den Wahlkreisen wurden lediglich 22 Prozent Frauen aufgestellt. Zwar ist auch hier gegenüber 2017 eine leichte Aufwärtstendenz zu beobachten, dennoch stehen 36 Männer nur 10 Frauen gegenüber (2017 waren es acht Frauen). In der CSU-Landesgruppe im Bundestag werden voraussichtlich also weiterhin die Männer deutlich in der Mehrheit sein.
  • Bei der CDU, die ebenfalls zahlreiche Mandate über die Wahlkreise generiert, und die voraussichtlich auch von Überhangmandaten profitieren wird, zeigt sich ein durchwachsenes Bild. Während in Bremen und im Saarland 50 Prozent Frauen in den Wahlkreisen aufgestellt wurden, sieht es in den großen Flächenstaaten Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hessen, wo die CDU traditionell stark ist, deutlich anders aus. Hier liegen die Anteile der nominierten Frauen bei lediglich 18, 25 und 23 Prozent, in Thüringen und Sachsen-Anhalt bei nur 12,5 bzw. 11 Prozent. In den Wahlkreisen steigert die CDU den Frauenanteil damit lediglich um 3 Prozentpunkte.
  • Auch bei der SPD werden die Wahlkreise voraussichtlich an Bedeutung gewinnen, da aktuell ein deutlich geringerer Anteil an Zweitstimmen prognostiziert wird. Im Durchschnitt hat die SPD 40 Prozent Frauen nominiert. Auch bei der SPD zeigen sich die Unterschiede in den Landesverbänden. In Brandenburg liegt der Anteil der weiblichen Kandidatinnen bei 60 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern, dem Saarland und Bremen bei 50 Prozent. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen dagegen, wo die SPD annähernd so stark wie die CDU bei den Direktmandaten war, liegt der Anteil lediglich bei 33 Prozent. Zudem wird es sehr darauf ankommen, ob die Frauen auch tatsächlich in für die SPD aussichtsreichen Wahlkreisen nominiert worden sind. In Bayern beispielsweise hat die SPD 43,5 Prozent der Wahlkreise mit Frauen besetzt, allerdings konnte die SPD dort kein einziges Mandat gewinnen, da wie oben bereits erläutert, alle Mandate an die CSU gingen.

Parteien mit wenigen oder keinen Direktmandaten

Die Grünen erreichen bei den Direktmandaten fast Parität, der Anteil liegt bei durchschnittlich 48 Prozent; die Linke hat 34 Prozent Frauen aufgestellt. Allerdings generieren beide Parteien nur in sehr geringem Maße ihre Mandate über direkt gewählte Abgeordnete. Inwieweit die Grünen mit den prognostizierten höheren Zustimmungswerten auch in der Lage sein werden, 2021 mehr Direktmandate zu erobern, bleibt abzuwarten.   

Insgesamt ist zu erwarten, dass Grüne und Linke ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in ihren Fraktionen erzielen werden; bei den Grünen voraussichtlich erneut mit mehr weiblichen als männlichen Abgeordneten, da die Grünen als einzige Partei eine sogenannte Mindestquotierung von 50 Prozent für die Listenplätze praktizieren (55 Prozent Frauen im Durchschnitt der Landeslisten). Sollten die Grünen tatsächlich Anteile von rund 20 Prozent oder höher erzielen, würden sich die Auswirkungen entsprechend auch im Bundestag zeigen.

Die FDP hat 22 Prozent Frauen in den Wahlkreisen aufgestellt, wobei die FDP bei der letzten Wahl kein Direktmandat erlangte. Zugleich zeigen die Landesverbände eine große Spannbreite auf. Spitzenreiterin ist, wie auch bei der Landesliste, die Berliner FDP mit 50 Prozent Kandidatinnen in den Direktwahlkreisen. In Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen oder Bremen wurden gar keine Frau aufgestellt. Trotz erfreulicher Entwicklungen in einzelnen Landesverbänden wird die FDP auch im kommenden Bundestag voraussichtlich zu drei Vierteln von Männern vertreten sein.

Die Rolle der AfD

Die AfD verdient nochmals eine gesonderte Betrachtung. Auf ihren Landeslisten liegt der Frauen- bzw. Männeranteil im Durchschnitt bei 14 bzw. 86 Prozent. Allerdings gibt es, wie bei keiner anderen Partei, starke Ausschläge nach oben wie nach unten: in Hamburg sowie den nördlichen Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein verzeichnet die AfD einen Frauenanteil von 40, 37 und 33 Prozent. Die Landeslisten von Niedersachsen, Bremen und Thüringen sind dagegen reine Männer-Listen. Hier wurde keine einzige Frau aufgestellt. In Sachsen wurden zu 95 Prozent, in Sachsen-Anhalt zu 86 Prozent Männer nominiert. In allen drei Bundesländern erzielte die AfD erhebliche Wahlerfolge. In den westlichen und südlichen Flächenstaaten Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg liegen die Anteile zwischen 10 und 25 Prozent.

In den Wahlkreisen wurden 13 Prozent Frauen nominiert, da in zahlreichen Landesverbänden nur Männer aufgestellt wurden (Schleswig-Holstein, Bremen, Saarland, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen). Aller Voraussicht nach wird die AfD damit auch im kommenden Bundestag eine sehr stark männlich dominierte Fraktion bleiben.

Hier gilt mit umgekehrten Vorzeichen wie bei den Grünen: je stärker die AfD im Bundestag vertreten sein wird, desto geringer wird der Frauenanteil im Parlament ausfallen.

Stadtstaaten sind führend

Wie erläutert bestehen zwischen den Bundesländern erhebliche Unterschiede. Führend sind - über alle Parteien hinweg – die Stadtstaaten Hamburg und Berlin mit 53 bzw. 52 Prozent Frauen auf den Landeslisten, Bremen befindet sich nach dem Saarland (48 Prozent) mit 46 Prozent auf dem vierten Platz. Den niedrigsten Frauenanteil weisen Sachsen-Anhalt und Thüringen auf mit jeweils 29 und 32 Prozent.

Für die Stadtstaaten bestätigt sich damit ein Trend, der auch auf Landes- und Bezirksebene zu beobachten ist, wo die Frauenanteile deutlich höher sind als in den kommunalen Vertretungen in ländlichen Regionen. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass – neben soziodemografischen Faktoren zur Bevölkerungsstruktur – sich die Parteien bezüglich der Repräsentanz der Frauen angenähert haben, weil eine zu starke Männerdominanz als nicht mehr zeitgemäß bzw. opportun angesehen wird. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich seit geraumer Zeit in den skandinavischen Ländern mit ihrem reinen Verhältniswahlrecht, wo auch die konservativen Parteien ihre Listen annähernd paritätisch besetzen.

Ausblick

Aller Voraussicht nach wird auch nach der Wahl am 26. September die Diskussion weiter zu führen sein, wie ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis im Bundestag erreicht werden kann.  Zudem hat die Bundestags-Kommission zur Wahlrechtsreform auch den Auftrag, Vorschläge zur Verbesserung der Repräsentanz von Frauen zu erarbeiten.

Zwar wurden die 2019 in Brandenburg und Thüringen verabschiedeten Paritätsgesetze für die Landtagswahlen, wie bekannt, von den jeweiligen Landesverfassungsgerichten für nichtig erklärt. Doch ist auch hier das letzte Wort (aus Karlsruhe) noch nicht gesprochen, wie ein verfassungskonformes Paritätsgesetz aussehen könnte. Es bleibt spannend.

Helga Lukoschat

Hier finden Sie die detaillierten Daten zu den einzelnen Bundesländern.

 


[1] Auch nicht-binäre Kandierende wurden in der Erhebung berücksichtigt. Bei Trans-Personen wurden Trans-Männer unter „Männer“ aufgenommen und Trans-Frauen unter „Frauen“.

[2] Von einigen Parteien fehlen noch die Angaben zu den Wahlkreisen. 98 Prozent konnten ausgewertet werden. Die Prozentangaben wurden jeweils auf- bzw. abgerundet.