Neue Wege gehen: Modelle und Umsetzungsbeispiele aus anderen Ländern


In vielen Ländern gibt es bereits Regelungen zu Parität in der Politik. Wir stellen die wichtigsten Modelle vor und zeigen, wie sie in anderen Ländern umgesetzt wurden.


Demokratie und Gleichberechtigung sind aufeinander bezogen und verstärken sich wechselseitig. Erfreulicherweise haben sich diese Erkenntnisse in den vergangenen zwei Jahrzehnten international immer mehr durchgesetzt. Sie lassen sich an den veränderten Maximen der internationalen Entwicklungspolitik ebenso ablesen wie an der Tatsache, dass es mittlerweile in mehr als 100 Ländern Regelungen für die Teilhabe von Frauen an politischen Entscheidungsprozessen gibt, zum Teil als gesetzliche Vorgabe, zum Teil als freiwillige Verpflichtung der Parteien, wie in Schweden oder Deutschland. In der EU gibt es in 21 von 28 Staaten entsprechende Regelungen, davon zehn Staaten auf gesetzlicher Basis: Belgien, Frankreich, Griechenland, Irland, Kroatien, Luxemburg, Polen, Portugal, Slowenien und Spanien. Den Anfang machte Belgien 1994, zuletzt führte Luxemburg 2016 eine gesetzliche Quote ein. In drei der zehn Staaten (Frankreich, Portugal und Slowenien) gingen den Wahlrechtsänderungen Verfassungsänderungen voraus.

Im folgenden Abschnitt werden vier verschiedene Modelle von gesetzlichen Regelungen und praktische Umsetzungsbeispiele aus anderen Staaten vorgestellt.

Im internationalen Vergleich finden sich neben paritätischen (50 Prozent-) Geschlechterquoten auch zahlreiche Regelungen, in den eine Mindestquote, zum Beispiel von 30 oder 40 Prozent für jedes Geschlecht, festgelegt ist. Entscheidend für die Wirksamkeit der Regelungen ist:

  1. Sie müssen zum politischen System, also zum Wahlrecht und zur nationalen Kultur und ihren Besonderheiten passen.
  2. Sie müssen wirksam sanktioniert werden.


Stufe 1: Einfache Quotierung der Wahllisten

Insgesamt müssen mindestens X Prozent beider Geschlechter auf den Wahllisten der Parteien vertreten sein. Die Grafik zeigt, wie beispielsweise eine Vorgabe von 50 Prozent umgesetzt werden könnte. Oft wird eine solche Quotierung bereits über die freiwilligen Vorgaben der Parteien umgesetzt. Allerdings zeigt sie im Ergebnis eher wenig Wirkung, da Frauen meistens auf den hinteren und damit weniger aussichtsreichen Listenplätzen zu finden sind. Wenn die Partei im oberen Beispiel in der Wahl vier Sitze gewinnt, gehen davon drei an Männer – trotz einer insgesamten Listen-Frauenquote von 50 Prozent.
 

Stufe 2: Reißverschlussprinzip

Als deutlich effektiver erweist sich die einfache Quotierung von Wahllisten, wenn sie mit dem sogenannten Reißverschlussprinzip gekoppelt ist. Das heißt, neben der einfachen Quotierung müssen sich Männer und Frauen zusätzlich auf den Listen abwechseln. So ist sichergestellt, dass immer mindestens 30 Prozent der über die Liste gewonnenen Mandate an Kandidatinnen gehen. Zusätzlich zum Reißverschlusssystem kann die Vorgabe gelten, dass im vorderen Bereich Frauen die ungeraden Listenplätze zustehen, sie also auf Platz 1 und 3 zu finden sind.


Beispiel Belgien: Schritt für Schritt zur Quote

In Belgien wurden erste gesetzliche Vorgaben zur Besetzung der Wahllisten bereits 1994 eingeführt. Schrittweise wurde die damalige 25 Prozent-Quote auf 50 Prozent im Jahr 2002 erhöht. Auf den Listen müssen gleich viele Männer wie Frauen vertreten sein und diese müssen sich auf der Liste abwechseln. Wenn eine Partei diese Vorgaben nicht erfüllen kann oder will, müssen Listenplätze leer bleiben. Der Frauenanteil im Belgischen Parlament liegt bei knapp 40 Prozent.


Stufe 3: Horizontale Quotierung der Spitzenplätze

Um sicherzustellen, dass möglichst viele Frauen den Sprung in die politische Vertretung schaffen, kann neben der sogenannten "vertikalen" Quotierung der einzelnen Wahllisten auch eine horizontale Vorgabe für sämtliche Listen einer Partei gemacht werden. In der Praxis bedeutet dies, dass ein bestimmter Anteil der ersten Listenplätze einer Partei – ob auf nationaler oder Länderebene -  jeweils von Frauen angeführt werden muss. Zum Beispiel wäre, wie in der Grafik zu sehen, bei einer paritätischen Quotierung die Hälfte der ersten Listenplätze – auf alle Wahllisten einer Partei gerechnet –Frauen vorbehalten.


Beispiel Tunesien: Kampf für die horizontale Parität

Die tunesische Verfassung von 2014 schreibt die gleiche Beteiligung der Geschlechter an der politischen Vertretung als Staatsziel fest. Im Wahlgesetz ist die alternierende Besetzung aller Wahllisten (Reißverschlussprinzip) mit mindestens 50 Prozent weiblichen Kandidatinnen festgelegt.  Bei den Parlamentswahlen im Herbst 2014 traten sehr viele Parteien an, davon wurden wiederum viele von Männern angeführt. Gerade bei kleinen Parteien schaffte es aber oft nur der erstplatzierte Kandidat ins Parlament einzuziehen. Der gesamte Frauenanteil im tunesischen Parlament liegt lediglich bei 31,3 Prozent. Frauenrechtsverbände und einige Parteien forderten daher eine horizontale Quotierung der Listen wie im beschriebenen Modell einzuführen. Dies wurde für die Kommunal- und Regionalwahlen 2016 erreicht.


Stufe 4: Quotierung der Direktkandidaturen

Direktmandate, bei denen jeweils nur eine Person gewählt wird, lassen sich nicht nach dem gleichen Muster wie Wahllisten quotieren. Dennoch gibt es Vorschläge und Modelle, wie der Frauenanteil auch unter den Wahlkreiskandidat*innen erhöht werden kann.


1. Tandem-Modell

Statt eines Sitzes pro Wahlkreis werden zwei Sitze an ein sogenanntes Tandem vergeben. Jede politische Partei stellt eine Frau und einen Mann auf. Die Wähler*innen geben aber nur eine Stimme für den Wahlkreisvorschlag. Gewählt ist dann das Tandem des Vorschlags, der die meisten Stimmen erhält. Will man die Größe eines Parlaments nicht verdoppeln, muss die Anzahl der Wahlkreise daher halbiert werden.

2. Wahlkreis-Duo

Auch in diesem Modell wird die Anzahl der Wahlkreise halbiert. Jede politische Partei stellt jeweils einen Mann und eine Frau auf. Die Wähler*innen wählen allerdings nicht ein Tandem, sondern haben zwei Erststimmen, die sie jeweils an einen Mann und eine Frau vergeben können, auch aus unterschiedlichen Parteien. Gewählt sind jeweils der männliche Kandidat und die weibliche Kandidatin mit den meisten Stimmen. Dieses Modell wird z.B. von Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg vorgeschlagen.

3. Ausgleich über die Wahlliste

Die Anzahl der Wahlkreise und die Direktwahlelemente an sich werden nicht verändert. Bei der Verteilung der Mandate über die Wahlliste muss die Überrepräsentanz eines Geschlechtes bei den Direktmandaten aber so weit wie möglich ausgeglichen werden. Zum Beispiel gewinnt eine Partei bei der Wahl insgesamt zehn Mandate. Fünf Mandate sind über Direktwahlkreise von Männern gewonnen worden. Damit die Parität hergestellt wird, erhalten nur noch die Kandidatinnen auf der Wahlliste ein Mandat.

 

Beispiel Frankreich: Ein Wahlkreis, ein Tandem, zwei Geschlechter

In Frankreich wurde für die Départementswahlen (vergleichbar zu den Landkreisen in Deutschland) die Zahl der Wahlkreise 2015 halbiert. Pro Partei und Wahlkreis kandidierten Zweierteams, sogenannte Binômes, aus einer Frau und einem Mann. Alle Wahlvorschläge, die im ersten Wahlgang mindestens 12,5 Prozent der Stimmen gewannen, traten in der Stichwahl gegeneinander an. Gewählt war schließlich das Tandem mit den meisten Stimmen im zweiten Wahlgang. Bei den Départementswahlen im Dezember 2015 lag der Frauenanteil unter den Gewählten damit bei 50 Prozent.


Parität und die Recht diverser Personen

In Deutschland wurden mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Oktober 2017 die Rechte von Menschen, die sich weder dem einen noch dem anderen Geschlecht zuordnen wollen oder können, deutlich verbessert. Sie können sich im Personenstandsregister unter der Bezeichnung „divers“ eintragen lassen. Wie ist dies mit Paritätsgesetzen vereinbar? Durchaus, wie die Gesetze die Paritätsgesetze in Brandenburg und Thüringen zeigen.

In Brandenburg können sich Personen, die als divers eingetragen sind, entscheiden, ob sie auf der Frauen- oder der Männerliste kandidieren. Diese Zuordnung gilt nur für den Akt der Nominierung. Anschließend werden beide Listen zusammengeführt.

Thüringen wählte ein etwas anderes Modell. Hier können Personen, die als divers eingetragen sind, für jeden Platz der Liste kandidieren. Ist der vorherige Platz mit einem Mann besetzt, folgt anschließend eine Frau und umgekehrt.


Das französische „loi sur la parité“

In Frankreich trat 2001 das „Gesetz zur Förderung des gleichen Zugangs von Frauen und Männern zu Wahlmandaten und Wahlämtern“ in Kraft, das zwischenzeitlich immer weiter entwickelt wurde. Es beruht grundlegend auf dem Prinzip der „Égalité“ und der Überzeugung, dass die staatsbürgerliche Gleichheit auch die gleiche Partizipation an politischer Macht beinhaltet.

Für Listenwahlen nach Verhältniswahlrecht sieht das französische Parité-Gesetz eine paritätische Besetzung der Wahllisten mit Frauen und Männern vor. Das betrifft die Wahlen der Kommunalvertretungen und des Europaparlaments. Der Frauenanteil hat sich in den Kommunalparlamenten nahezu verdoppelt und liegt wie unter den französischen Europaabgeordneten nun bei über 40 Prozent.

Für nationale und regionale Wahlen gilt das Mehrheitswahlrecht, in denen ausschließlich Direktmandate vergeben werden.

Für die Wahlen zur Nationalversammlung sieht das französische Parité-Gesetz vor, dass die Parteien quotierte Vorschläge für die Direktkanditatinnen und -kandidaten in den Wahlkreisen machen. Als Sanktion droht die nachträgliche Kürzung staatlicher Zuwendungen an Parteien, bei denen der zahlenmäßige Unterschied zwischen den aufgestellten Kandidatinnen und Kandidaten mehr als 2 Prozent beträgt. Da gerade die großen Parteien bereit sind, diese finanziellen Einbußen in Kauf zu nehmen, wirken die Vorgaben hier weniger effektiv. Dennoch hat sich der Frauenanteil in der Nationalversammlung um fast 9 Prozentpunkte auf knapp 27 Prozent erhöht.

Für die Départementswahlen gilt ein Tandem-Prinzip, wonach in jedem Wahlkreis eine Kandidatin und ein Kandidat gewählt werden. Diese Regelung hat dazu geführt, dass der Frauenanteil 2015 bei 50 Prozent liegt. 

Die Parité-Regelungen haben darüber hinaus positive Nebeneffekte: Auch in Kommunen mit weniger als 3.500 Einwohnern, für die das Gesetz nicht gilt, wurden deutlich mehr Frauen gewählt. Außerdem hat sich der Anteil der Bürgermeisterinnen nahezu verdoppelt, ohne dass diese Wahlen quotiert wurden.