Interview mit Sawsan Chebli

„Wenn ich ruhig bin, sind in der Regel auch die Hater ruhig, wenn ich laut bin, sind sie laut."

Aus unserem Gespräch soll später kein Interview sondern eine Botschaft werden. Das macht Sawsan Chebli gleich klar, als sie sich via Zoom aus ihrem Wohnzimmer zuschaltet. Ihr ist es wichtig, dass sich mehr Menschen gegen Hass und Hetze einsetzen. Deshalb spricht sie laut und geschliffen. Die SPD-Politikerin steht für unerschütterliches Engagement gegen Diskriminierung und machte eine steile politische Karriere, bis sie sich 2021 aus ihrem Amt zurückzog. Als Staatssekretärin in der Berliner Senatskanzlei erhielt sie Morddrohungen, bis heute erreichen sie Hassmails. Ein Gespräch über Mut, politische Gegenstrategien und die Kraft der Zivilgesellschaft.

EAF Berlin: Frau Chebli, in Ihrer Zeit als Berliner Staatssekretärin haben Sie pro Woche 20 Strafanzeigen wegen Beleidigungen auf Social Media gestellt. Ist das heute immer noch so?

Sawsan Chebli: Ja, das stimmt. In Peak-Zeiten habe ich tatsächlich bis zu 20 Anzeigen in der Woche wegen Beleidung erstatten müssen – viele davon mit Erfolg. Frauen, die laut sind und aktiv in der Politik stehen, werden immer wieder Ziel von Hass und Hetze. Seitdem ich nicht mehr Staatssekretärin bin, ist das weniger geworden. Aber bis heute bekomme ich viel Hass ab, bisweilen sind auch Drohungen dabei – je nachdem, wie groß meine öffentliche Sichtbarkeit gerade ist. Wenn ich ruhig bin, sind in der Regel die Hater ruhig, wenn ich laut bin, sind sie laut. 


EAF Berlin: Von wem kommen diese Hassnachrichten und wie sehen die Anfeindungen aus?

Sawsan Chebli: In meinem Fall handelt es sich häufig um eine Kombination aus Sexismus und antimuslimischen Rassismus, sowie Vorurteile wegen meines Flüchtlingshintergrundes, die mir entgegenschlagen. Oftmals geschieht das vermeintlich anonym, über Social Media zum Beispiel. Es gibt etliche Studien und Erhebungen dazu, dass Frauen von Hatespeech besonders betroffen sind und BPoCs, also nicht-weiße Menschen, noch einmal mehr. 70 Prozent der Mädchen und jungen Frauen haben bereits Beleidigungen und Diskriminierungen in den sozialen Medien erfahren. Haben Sie dazu noch eine Migrationsgeschichte, sind sie noch stärkeren Anfeindungen ausgesetzt.
 

EAF Berlin: Auf welchen Wegen schlägt ihnen der Hass entgegen?

Sawsan Chebli: Ich habe Hass auf unterschiedlichste Weise erfahren und Nachrichten, die bis zu Morddrohungen reichten, im Netz, auf Twitter und Instagram aber auch per E-Mail erhalten. Ich habe Zuschriften per Post an mein Büro bekommen und wurde auch körperlich auf der Straße angegriffen. Natürlich will man so etwas nicht erleben, aber ich lasse mich nicht einschüchtern.
 

EAF Berlin: Das müssen schlimme Erfahrungen gewesen sein. Aktuelle Statistiken zeigen, dass solche Angriffe keine Einzelfälle sind und die Zahl der Straftaten gegenüber Politiker:innen ansteigen. Was lässt sich gegen diese Zustände tun?

Sawsan Chebli: Das ist ein komplexes Thema. Deshalb sind es auch verschiedene Maßnahmen, die ergriffen werden müssen. Zunächst einmal ist die Politik gefragt. Im digitalen Raum gibt es ja schon gute Schritte, wie etwa das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das darauf zielt, Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte in sozialen Netzwerke wirksamer zu bekämpfen. Es gibt inzwischen höhere Strafen, die zur Abschreckung und zur Verbesserung der Lage von Opfern dienen sollen. Ich finde es auch total wichtig, dass die digitale Kompetenz bei den Staatsanwaltschaften weiter ausgebaut wird.
 

EAF Berlin: Welchen Einfluss haben strukturelle Faktoren auf dieses gesellschaftliche Klima, in dem Sexismus und Hatespeech gedeihen? Frauen und Menschen mit Migrationsbiografie sind ja politisch noch immer unterrepräsentiert.

Sawsan Chebli: Die Machtstrukturen, auf denen unsere Gesellschaft aufgebaut ist, bilden natürlich den Hintergrund des Problems. Leider wird sich an den bestehenden Verhältnissen nichts ändern, so lange Männer nicht gezwungen werden, Macht zu teilen. Ich war früher keine Verfechterin der Quote, bin es heute aber umso mehr. Nicht zuletzt braucht es gute Rahmenbedingungen, in denen sich Frauen engagieren können und wollen. Diskriminierungsfreie Debatten und eine bessere Vereinbarkeit von Politik und Familie sind da Stichworte. Der Bereich Vereinbarkeit ist auch für Frauen mit Migrationsgeschichte häufig ein Thema – darüber müssen wir viel mehr nachdenken und individuelle Lösungswege jenseits von Stereotypen finden.

EAF Berlin: Kann die Zivilgesellschaft auch etwas tun?

Sawsan Chebli: Wir alle sind gefragt, jetzt aufzustehen, dagegenzuhalten und uns für die Demokratie zu engagieren. Wir dürfen den öffentlichen Raum, digital und analog, nicht den Hatern überlassen!

Ihr Aufwachsen als Tochter palästinensischer Geflüchteter in Berlin-Moabit war geprägt von Existenzängsten. Doch Sawsan Chebli kämpfte sich durch: Sie studierte Politikwissenschaften und trat in die SPD ein. 2014 wurde sie zur stellvertretenden Sprecherin des Auswärtigen Amtes ernannt. Anschließend wurde sie Staatssekretärin in der Berliner Senatskanzlei. Für ihren Machtkampf mit dem damaligen Berliner Bürgermeister Michael Müller um eine Bundestagskandidatur, den sie letztlich verlor, wurde sie teils kritisiert, teils gefeiert. 2021 zog sie sich aus dem Amt zurück und engagiert sich in verschiedenen zivilgesellschaftlichen Projekten.