Die Gastartikel

100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland – eine Errungenschaft und ihre Folgen

Was hat das Wahlrecht in der Folge für den Lebensalltag der Frauen, aber auch für die Frauenbewegung bedeutet? Wie entwickelte sich die Frauen(stimm)rechtsbewegung, nachdem sie das Wahlrecht errungen hatte? Dr. Kerstin Wolff gibt einen historischen Überblick und nimmt auch in den Blick, was die geschichtlichen Entwicklungen für den Alltag von Frauen und politische Teilhabe heute bedeuten.

ÜBER DIE AUTORIN

Dr. Kerstin Wolff

Dr. Kerstin Wolff ist Historikerin und Geschäftsführerin der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel. Sie ist Redakteurin der historischen Fach-Zeitschrift der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung, „Ariadne – Forum für Frauen- und Geschlechter Geschichte". Die „Ariadne" erscheint durchgehend seit 1986 und ist damit eine der ältesten geschlechtergeschichtlichen Zeitschriften der Bundesrepublik. Dr. Kerstin Wolff ist Mitglied in der IAG Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Kassel sowie Vorstandsmitglied des Arbeitskreises Historische Frauen- und Geschlechterforschung e.V.


Am 12. November 1918 war es endlich soweit: Das aktive und passive Frauenwahlrecht wurde eingeführt. Akteur der Stunde war der Rat der Volksbeauftragten, der an diesem Tag in Berlin erklärte, dass „alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften (…) fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen (…) sind“.[1]

Aus diesen Worten zu schließen, der Rat der der Volksbeauftragten hätte quasi aus sich heraus diese neue Regelung erlassen, führt allerdings in die Irre. Mit der Demokratisierung der Wahlgesetze setzte der Rat vielmehr den Schlusspunkt unter einen jahrzehntelangen Prozess, in dem sowohl die Flügel der Frauenbewegung als auch die SPD intensiv für Veränderungen der Wahlregelungen und für das Frauenwahlrecht gestritten hatten.

Einzelne Vorkämpferinnen, wie Louise Otto (-Peters), Louise Dittmar und Hedwig Dohm hatten bereits ab den 1840er Jahren immer wieder auf den Skandal der politischen Unmündigkeit von Frauen in Deutschland hingewiesen. Seit 1900 hatte sich die Frauenbewegung auch organisatorisch mit dem Kampf um das Frauenwahlrecht beschäftigt. Die Frauenbewegung war hierin bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges ausgesprochen erfolgreich. Es gab einen bürgerlichen Flügel, der mit Hilfe von Frauenstimmrechtsvereinen die Propaganda und Aufklärung für das Frauenstimmrecht vorantrieb. Diese Gruppen waren nicht nur national tätig, sondern auch international vernetzt. Vor allem Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann waren hier aktiv, aber auch Li Fischer-Eckard, Minna Cauer oder Marie Stritt.

Der ebenfalls sehr aktive sozialdemokratische Flügel versuchte u.a. über einen internationalen Frauentag, der ab 1911 einmal jährlich abgehalten wurde, auf die Notwendigkeit des aktiven und passiven Frauenwahlrechts auch für die Proletarierinnen hinzuweisen. Vor allem Clara Zetkin, Luise Zitz und Marie Juchacz setzten sich in den Parteikreisen dafür ein, die soziale Frage" mit der Frauenfrage" zu verzahnen.

Vor dem Ersten Weltkrieg herrschte Optimismus; viele Aktivistinnen glaubten fest daran, dass das Frauenwahlrecht kurz bevorstünde. Diese Hoffnung wurde durch den Ausbruch des Weltkrieges jäh beendet.

Erst 1917 nahm die Frauenwahlrechtsbewegung wieder Fahrt auf. Dies hing mit der Osterbotschaft des deutschen Kaisers Wilhelm II. zusammen, der eine Demokratisierung des Wahlrechtes nach dem Krieg versprach – zum Frauenwahlrecht allerdings schwieg. Dieses Signal nahmen die verschiedenen Flügel der Bewegung zum Anlass, ihre Aktivitäten wiederaufzunehmen. Und: Was vor dem Weltkrieg nicht möglich gewesen war, wurde nun machbar. Die verschiedenen Flügel schlossen sich zusammen, und es entwickelte sich ein breites Frauenbündnis. Erneut wurden Petitionen abgeschickt, Versammlungen einberufen und Demonstrationen organisiert. Der Druck der Frauen ließ auch 1918 nicht nach und erreichte im Oktober einen neuen Höhepunkt. In dieser Situation übernahm der Rat der Volksbeauftragten das Heft des Handelns und führte das Frauenwahlrecht ein. Der Druck der Frauenbewegung war erfolgreich gewesen!

Hoffnung und Ernüchterung – Erfahrungen der Weimarer Republik

Die Hoffnungen auf einen politischen Neubeginn, auf eine Ära des politischen Einflusses von Frauen, waren groß. Allerdings mussten die ersten Parlamentarierinnen recht schnell erkennen, dass Parteidisziplin vor Geschlechtersolidarität gestellt wurde. Überparteiliche Anträge hatten wenig Chancen, auch wenn es vorkam, dass sich die Frauen parteiübergreifend zusammentaten.

Auf lange Sicht gesehen erwies es sich als problematisch, dass in (fast) allen Parteien eine Vertretungsstruktur von Frauen für Frauen aufgebaut wurde. Dies bedeutete, dass alle weiblichen Mitglieder in die Abteilung Frau" einsortiert wurden, es eine Männerabteilung" in den Parteien aber nicht gab. Dies führte dazu, dass sich eine Ghettoisierung der weiblichen Parteimitglieder entwickelte, welche diese in ihrer Sonderrolle festschrieb. Damit wurde in der Weimarer Republik eine inhaltliche Arbeitsteilung etabliert, die bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Folgen hatte.[2]

Schnell zeigte sich, dass die Einführung des Frauenwahlrechts allein die tatsächliche Gleichberechtigung nicht herbeiführen konnte. Dem stand zum einen das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 entgegen. Zum anderen war in der Weimarer Verfassung nur die grundsätzliche" und staatsbürgerliche" Gleichheit von Männern und Frauen verankert.

Dies änderte sich erst nach dem zweiten Weltkrieg, als 1949 in beiden deutschen Staaten die Gleichberechtigung der Geschlechter in den jeweiligen Verfassungen aufgenommen wurde. Der Satz: Männer und Frauen sind gleichberechtigt" im Artikel 3 des bundesdeutschen Grundgesetzes war die alles entscheidende Weichenstellung.

Wie war es dazu gekommen? Die Verankerung des Gleichberechtigungsgrundsatzes wurde nicht durch Wahlen ermöglicht, sondern durch den Parlamentarischen Rat erarbeitet, und dieser war durch die verschiedenen Parteien besetzt worden. Da aber auch Frauen seit 1908 Parteimitglieder werden konnten und ab 1918 gleichberechtigte Staatsbürgerinnen waren, musste die Frage der Gleichberechtigung in der Verfassung angesprochen werden, und es war selbstverständlich", dass wenigsten ein paar Frauen die Verfassungsgebung aktiv mit begleiteten. Eine dieser „vier Mütter des Grundgesetzes“, die Kasseler Juristin Elisabeth Selbert (SPD), trat entschieden für die heutige Formulierung in Artikel 3 ein und setzte diesen –  auch gegen Widerstände – zusammen mit ihren Mistreiterinnen durch.

Dennoch blieben die deutschen Parlamente in West- wie in Ostdeutschland lange reine Männerbastionen. Dies änderte sich erst langsam seit den 1980er Jahren, als die neue Partei Die Grünen" ein (parteiinterne) 50-Prozent-Quote einführte. Obwohl diese Kulturänderung langsam, aber sicher (fast alle) Parteien in Deutschland veränderte, gibt es nach wie vor keine Parität zwischen Frauen und Männern in den Parlamenten. Überall sind Männer in der Mehrheit. Hier gilt es nachzusteuern, denn nach 100 Jahren Frauenwahlrecht wird es höchste Zeit, die Gleichberechtigung auch in der Politik umzusetzen.

 

 


[1] Hierzu und zur Geschichte des Frauenwahlrechts in Deutschland siehe: Kerstin Wolff: Unsere Stimme zählt. Die Geschichte des deutschen Frauenwahlrechts, Überlingen 2018.

[2] Siehe: Kirsten Heinsohn: Ambivalente Entwicklungen. 150 Jahre Frauenbewegung, Politik und Parteien, in: Ariadne, 67/68, 2015, S. 43.