INTERVIEW

Drei Fragen an...

Wir haben wir mit der Erstwählerin und Studentin der Politikwissenschaft Felicia Sasse darüber gesprochen, was es für sie bedeutet wählen zu dürfen und für welche Themen sie sich einsetzt. Ihre Positionen vergleichen wir mit denen einer Vorkämpferin für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen: Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit, ehemalige Senatorin für Justiz in Berlin und Hamburg und federführend bei dem sogenannten "Lex Peschel", einem Gesetz, das für Beamtinnen familienfreundliche Arbeitsbedingungen möglich machte. Zudem wirkte sie an dem seit 1994 gültigen Gesetzeszusatz mit, der die staatliche Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern festschrieb. Sie gibt einen Einblick darin, welche Rolle es für ihr politisches Engagement spielte und noch heute spielt eine Frau zu sein.

Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit


Erinnern Sie sich noch an den Tag, an dem Sie zum ersten Mal wählen durften?

Nicht konkret. Ich durfte im Jahre 1953 das erste Mal an der Bundestagswahl teilnehmen. Selbstverständlich ist die gesamte Familie Vater, Mutter, Schwester und ich zum Wählen gegangen und ebenso selbstverständlich haben wir Stillschweigen darüber bewahrt, wer was gewählt hat.
 

Welche Rolle spielt(e) Ihr Geschlecht für Ihr politisches Engagement und Ihre Wahlentscheidungen?

Die entscheidende Rolle: Meine Schwester und ich haben 1949 vor Inkrafttreten des Grundgesetzes ganz ausführlich über die Bestimmung des Art. 3 Abs. 2 diskutiert, und zwar sowohl in der Schule als vor allen Dingen auch zu Hause; unsere Mutter war eine politisch sehr interessierte Frau. Sie hat uns klargemacht, welcher Unterschied zwischen der Bestimmung in der Weimarer Verfassung und in dem jetzigen Grundgesetz bestand, dass wir jetzt ein Grundrecht auf Gleichberechtigung haben, das jede einzelne Frau einfordern kann. Damit hatte unsere Mutter uns sensibel gemacht für den Umstand, dass Frauen noch gewaltige Widerstände zu überwinden haben werden.
 

Was möchten Sie mit Ihrer Stimme verändern?

Ich möchte vor allen Dingen die Gleichstellung der Geschlechter endlich durchsetzen. Sie ist zwar auf einem ganz guten Weg, aber es dauert einfach alles viel zu lange und es sind viele Dinge noch weit davon entfernt, endlich gelöst zu sein. Das ist z.B. so, wenn man sich die Geschlechterverteilung im jetzigen Bundestag ansieht: Noch nie waren so wenig Frauen im Bundestag wie in der jetzigen Volksversammlung. Und das hat natürlich etwas damit zu tun, wie Männer und Frauen auf die aussichtsreichen Plätze von den Parteien gesetzt werden. An dieser Stelle muss etwas geändert werden, wir brauchen eine gesetzliche Vorgabe, dass Frauen und Männer gleichmäßig in den einzelnen Wahllisten verteilt sind, ebenso wie Männer auf aussichtsreiche Plätzen angeordnet werden.

Außerdem möchte ich mit meiner Stimme erreichen, dass die Rechtsposition unserer Kinder verbessert wird. Ich kämpfe seit Jahrzehnten darum, dass eigene Kindergrundrechte in die Verfassung aufgenommen werden. Jetzt scheint es so zu sein, dass die Regierungsparteien dazu bereit sind, eine entsprechende Bestimmung findet sich im Koalitionsvertrag. Aber auch hier heißt es: Auf keinen Fall damit zufrieden sein, dass etwas im Koalitionsvertrag steht. Entscheidend ist die Ausführung und deswegen kommt es an jeder Wahlurne darauf an, seine Stimme gezielt für diejenigen einzusetzen, die die eigenen Ziele mitverfolgen.

Felicia Sasse


Wie war es für Dich, das erste Mal wählen zu dürfen?

Im Herbst 2017 habe ich an den Wochenenden meistens in einem Restaurant gearbeitet, also musste ich erstmal mit meinem Chef ausmachen, dass ich an diesem besagten Sonntag früher Schluss machen darf, um mein Kreuzchen zu setzen. Weil ich damals noch in einer Kleinstadt wohnte, in der sich die Leute kennen, musste ich nicht einmal meinen Personalausweis vorzeigen. Kurz anstehen, Wahlzettel in die Hand gedrückt bekommen und ab in die Kabine. Ehrlich gesagt war ich fast ein bisschen enttäuscht als ich meinen Zettel einwarf: „So viel Aufregung und das war‘s jetzt schon?“, dachte ich mir. Später am Abend traf ich mich dann mit einigen Freunden für eine kleine Wahlparty. Die Stimmung war nach den ersten Hochrechnungen ziemlich gedrückt, mit einem solchen Ergebnis die AfD hatte auch in unserer Region große Gewinne zu verzeichnen hatten wir nicht gerechnet.


Könntest Du Dir vorstellen, Dich politisch zu engagieren oder tust Du es vielleicht bereits?

Da ich Politikwissenschaft studiere, ist Politik auf jeden Fall Teil meines Alltags, auch wenn ich mich noch nicht parteipolitisch engagiert habe. Als sich im Frühjahr 2018 in Mainz eine rechte Gruppierung etablieren wollte, nahm ich regelmäßig an den montäglichen Gegendemonstrationen teil. Außerdem besuche ich sehr gerne Vorträge und Aktionen von Hochschulgruppen, die sich beispielsweise für Menschenrechte und besonders für die Rechte von Geflüchteten einsetzten.


Was möchtest Du mit Deiner Stimme verändern?

Mir ist wichtig, dass ich meine Stimme einer Partei gebe, die sich für Gerechtigkeit einsetzt. Dazu gehört natürlich einerseits die Geschlechtergerechtigkeit, aber andererseits die Chancengleichheit. Ich glaube, dass Deutschland gerade für junge Menschen sehr viel zu bieten hat, und, dass es wichtig ist Wege zu finden, dass auch alle an diesem Angebot teilhaben können!  Ich wünsche mir von den Regierenden, dass sie auch für junge Leute Politik machen und nicht vergessen, dass wir die Zukunft dieses Landes sind und deshalb gut ausgebildet werden müssen um unser Potential zu nutzen. Dies gilt sowohl für diejenigen, die hier geboren wurden, als auch für diejenigen, die erst seit kurzem hier sind.