Die Gastartikel

Wählen Frauen anders?

Wie nehmen Frauen in Deutschland – einhundert Jahre nach Einführung des Wahlrechts – dieses Recht heute wahr? Der Sammelband „100 Jahre Frauenwahlrecht. Ziel erreicht! ... und weiter?“, von dem Rebecca Beerheide Mitherausgeberin ist, sucht nach Antworten auf diese Frage. Für unser Themendossier zeigt Rebecca Beerheide auf, wie Frauen heute ihre Stimme nutzen und bezieht sich hierbei auf aktuelle Ergebnisse der Wahlforschung.

ÜBER DIE AUTORIN

Rebecca Beerheide

Rebecca Beerheide ist Ressortleiterin der Politischen Redaktion des Deutschen Ärzteblatts und Mitherausgeberin des Sammelbandes 100 Jahre Frauenwahlrecht: Ziel erreicht – und weiter?. Sie studierte Diplom-Journalistik und Politikwissenschaften in Leipzig und Ljubljana. Seit 2008 schreibt sie über Gesundheitspolitik, zunächst für die Ärzte Zeitung, seit Juli 2015 für das Deutsche Ärzteblatt. Seit 2015 ist sie Vorsitzende des Journalistinnenbundes. 

In Deutschland können mehr Frauen als Männer wählen: Bei der Bundestagswahl 2017 waren 61,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger stimmberechtigt, davon 31,7 Millionen Frauen und 29,8 Millionen Männer. Bei einer Wahlbeteiligung von insgesamt 76,2 Prozent gaben 76 Prozent der Frauen ihre Stimme ab. Da jedoch mehr Frauen als Männer wahlberechtigt sind, führte dies auch bei der Bundestagswahl 2017 dazu, dass die Anzahl der Wählerinnen um eine Million höher lag.

Frauen nehmen ihr Wahlrecht über alle Altersgruppen hinweg betrachtet also ähnlich oft wie Männer wahr. Allerdings gibt es innerhalb der Altersgruppen deutliche Unterschiede: So wählen junge Frauen weniger oft als Ältere. Auch die Parteipräferenz ist zwischen den Generationen unterschiedlich: Während viele junge Frauen eher Parteien links der Mitte wählen, geben ältere Frauen ihre Stimme eher konservativen Parteien. Parteien wie die FDP und die Piraten haben wenig Chancen, von Frauen gewählt zu werden. Und: Frauen scheinen schon fast resistent gegen Einflüsse rechtsradikaler Parteien auf ihre Wahlentscheidung.

Das Wahlverhalten von Frauen und Männer wird in der wissenschaftlichen Literatur wie unter Publizistinnen unterschiedlich diskutiert: So gehen einige Autorinnen davon aus, dass es einen starken Unterschied zwischen Frauen und Männern gibt. Andere sehen dagegen statistisch wenig Auffälligkeiten zwischen den Geschlechtern. Die Gründe für unterschiedliches Wahlverhalten sehen sie eher in den soziodemografischen Faktoren sowie in gesellschaftlichen Entwicklungen – bei Männern genauso wie bei Frauen.[1] Für das Wahlverhalten spiele es also eine größere Rolle als das Geschlecht, wie alt jemand ist oder welchen Bildungshintergrund jemand hat. Übereinstimmend gilt jedoch: Frauen wählen risikoarmer, setzen auf Bewährtes und experimentieren mit ihrer Wahlstimme kaum. Sie geben seltener ihre Stimme bei Parteien an den links- wie rechtsextremen Rändern ab.

Für Deutschland zeigt sich dieser Befund beispielsweise an den Stimmverhältnissen bei der Bundestagswahl 2017.

Für die CDU stimmten 29,8 Prozent der Frauen, bei Männern holte die Partei zu 23,5 Prozent. In seinem Abschlussbericht zur Wahl stellte der Bundeswahlleiter fest: „Damit ist sie seit den 1950er Jahren eine von Frauen bevorzugte Partei“. Für die SPD gab es keinen Unterschied – für sie stimmten jeweils 20,5 Prozent Männer wie Frauen. Für die Grünen votierten mehr Frauen (10,2 Prozent) als Männer (7,6 Prozent). Für Frauen weniger attraktiv sind die FDP, die Linken und vor allem die AfD: Die rechtspopulistische Partei erhielt von Frauen 9,2 Prozent, von Männern 16,3 Prozent. Bei der ganz jungen sowie ganz alten Wählergeneration schneidet die Partei am schlechtesten ab. Für die FDP votierten 9,7 Prozent Frauen und 11,8 Prozent Männer. Dieses Ergebnis bei Wählerinnen ist für die Partei eigentlich unüblich – bei den vorangegangenen Landtagswahlen schnitten die Liberalen besonders bei Frauen eher schlecht ab. Für die Linke gaben 8,8 Prozent Frauen ihre Stimme ab und 9,7 Prozent der männlichen Wähler. 

Die Angst vor der Frau als Wählerin

Die Parteipräferenz der Wählerinnen war schon bei der Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren ein Thema: Die damalige Sorge: Frauen könnten eher sozialdemokratisch wählen, da die Sozialdemokraten die Forderung nach dem Wahlrecht für Frauen in ihr Programm frühzeitig aufgenommen hatten. Doch dies war ein Trugschluss: Frauen wählen jahrzehntelang eher christlich-konservativ als sozialdemokratisch. Eine Theorie dazu: Männer bewegten zu der Zeit eher in Arbeiter- und Gewerkschaftskreisen, Frauen in familiären- und kirchlichen Kreisen.[2] Das änderte sich erst 1972 bei der Wahl von Willy Brandt, als die SPD erstmals mehr Stimmen von Frauen (aber auch Männern) bekam. Auch bei den Bundestagswahlen 1980, 1982, sowie 1998, 2002 und 2005 wählten mehr Frauen die SPD.[3]

Das Wahlverhalten von Männern und Frauen hat sich im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte einander angenähert – auch weil sich sozioökonomische Verhältnisse von Männern und Frauen angeglichen haben. Wo geht die Reise für die nächsten (Landtags)Wahlen hin? Eine deutlich höhere Wahlbeteiligung bei den letzten vier Landtagswahlen, eine durch die internationalen Entwicklungen politisierte Öffentlichkeit und Pro-Europa-Demonstrationen machen Mut, dass sich wieder mehr Menschen – und vor allem Frauen – für Politik interessieren und mit ihrer Stimmabgabe in politischen Fragen partizipieren.

 
Dieser Text ist eine gekürzte und aktualisierte Version des Textes „Wählen Frauen anders?“ aus: Rohner, Isabel; Beerheide, Rebecca (Hg): „100 Jahre Frauenwahlrecht. Ziel erreicht ... und weiter?“, Ulrike Helmer Verlag 2017

[1] Siehe folgende Arbeiten: Molitor, Carmen (2005): Frauen wählen doch anders, in: FrauenRat 6/2005, abrufbar unter: www.frauenrat.de/fileadmin/Website_Archiv/files/Wahlverhalten.pdf (letzter Abruf 5. April 2017); Neu, Viola (2004): Alter oder Geschlecht? Was bestimmt die Wahlentscheidung?, in: in: Arbeitspapier 123/2004, wahlen.kas.de // Arbeitspapiere der Konrad-Adenauer-Stiftung; Molitor, Ute; Neu, Viola (1999):Das Wahlverhalten der Frauen bei der Bundestagswahl 1998: Kaum anders als das der Männer, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Seite 252-267; Louis, Chantal (2008): Gender Gap: Frauen wählen anders.... online abrufbar: www.emma.de/artikel/gender-gap-frauen-waehlen-anders-265922 (letzter Abruf 6. April 2017)

[2] Louis, Chantal (2008)

[3] Molitor (2005), S. 21