Die Gastartikel

Wann, wenn nicht jetzt?

Dr. Helga Lukoschat gibt einen Überblick über den Stand der Paritätsdebatte in Deutschland und zeigt auf, welche Chancen die aktuelle gesellschaftliche und politische Situation für Geschlechterparität in den Parlamenten bietet.

ÜBER DIE AUTORIN

Dr. Helga Lukoschat

Dr.  Helga Lukoschat ist Vorstandsvorsitzende und Mitbegründerin der EAF Berlin. Sie studierte Politikwissenschaft und Geschichte in Erlangen und Berlin. Anschließend war sie langjährig als Journalistin und Publizistin tätig, unter anderem als Redakteurin der tageszeitung.

Inspiriert von den französischen Erfahrungen wird auch in Deutschland seit rund einer Dekade über ein Paritätsgesetz für die Politik diskutiert: Doch erst jetzt öffnet sich ein „Window of opportunity“ dies auf Bundes- wie auf Länderebene tatsächlich anzupacken.

Drei Faktoren sind hierfür wichtig:

  • Die öffentliche Aufmerksamkeit für das Jubiläum zu 100 Jahre Frauenwahlrecht
  • Der Rückgang der Frauenanteile im Bundestag und in zahlreichen Länderparlamenten sowie
  • die anstehende Wahlrechtsreform zur Verkleinerung des Bundestags

 Diese Chancen gilt es jetzt zu nutzen.

Denn die bisherigen Vorstöße beschränkten sich weitgehend auf die Bundesländer und nahmen vor allem die Kommunalwahlen in den Blick. Dies war durchaus sinnvoll, denn die jeweiligen politischen Konstellationen ließen bessere Erfolgsaussichten erwarten als im Bund. Zudem war und ist die Unterrepräsentanz in den kommunalen Vertretungen mit einem Frauenanteil von lediglich 25 Prozent besonders gravierend. Die Diskussion blieb jedoch weitgehend auf frauenpolitische Kreise wie die Landesfrauenräte, den Juristinnenbund oder die Frauenorganisationen der SPD sowie die grüne Partei beschränkt.  Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Thüringen haben in ihren Koalitionsvereinbarungen Prüfaufträge für Paritätsgesetze aufgenommen. Doch blieb es bisher bei Absichtserklärungen. Die Ambitionen von Parteien und Landeregierungen aktiv zu werden, hielten sich, bis auf Brandenburg, das gegenwärtig eine Vorreiterrolle einnimmt und am 31.01.19  als erstes Bundesland ein Paritätsgesetz verabschiedet hat, in engen Grenzen.

Denn neben der eher grundsätzlichen Skepsis und Zurückhaltung in den Parteien, die auch mit den internen Mehrheitsverhältnissen zu tun haben dürfte, spielte die einsetzende juristische Kontroverse eine wichtige Rolle. Gutachten aus den Länderinnenministerien und andere Stimmen stellen die Verfassungsmäßigkeit von Paritätsvorgaben grundsätzlich in Frage. Wenn überhaupt, so müssten diese Eingriffe durch eine entsprechende Grundgesetzergänzung abgesichert werden.

Es ist hier nicht der Ort, die juristischen Kontroversen detailliert nachzuzeichnen. Festzuhalten ist jedoch, dass verfassungsrechtliche Bedenken selbstverständlich ernst zu nehmen sind, jedoch kein unüberwindliches Hindernis darstellen. Denn im Kern sind solche Fragen politischer Natur. Wie wird die gesellschaftliche Situation und Konstellation beurteilt? Welche Erfahrungen liegen über Jahrzehnte vor? Welche Veränderungsbedarfe werden gesehen?  

Zweitens hat bisher kein Verfassungsgericht tatsächlich über ein von einem Landesparlament oder dem Deutschen Bundestag demokratisch verabschiedetes Paritätsgesetz geurteilt. Zwar geht die „herrschende“ juristische Meinung davon aus, dass „Karlsruhe“ ein Paritätsgesetz abschlägig beurteilen würde. Aber dennoch wäre es einen Versuch wert, ein derartiges Gesetz auf den Weg zu bringen um klarer zu sehen, wohin die Reise gehen kann und soll, und ob tatsächlich eine Grundgesetzergänzung erforderlich wäre.

Schließlich haben sich mit der letzten Bundestagswahl auf Bundesebene die politischen Konstellationen verändert. Wir erleben die Entstehung und vermutlich Verfestigung ein sechs-Parteien-Systems, das die Entstehung von Überhangs- und Ausgleichsmandaten begünstigt und den Bundestag erheblich vergrößert. Zwei Parteien, FDP und AfD, lehnen bisher selbst interne, freiwillige Quotenvorgaben strikt ab und werden zu knapp 80 bzw. 90 Prozent von Männern vertreten. 

Aber auch bei der CDU/CSU-Fraktion liegt der Frauenanteil bei lediglich 20 Prozent. Der Großteil der Direktmandate geht an Männer, so dass die Listenplätze, die laut CDU-Satzung zu einem Drittel mit Frauen besetzt sein sollen, nicht mehr entsprechend zum Tragen kommen. Dies führte bei den Politikerinnen der Frauenunion zu berechtigtem Unmut, die verstärkt darauf drängen, besser repräsentiert zu sein.

Parität braucht eine starke Lobby

Wichtig ist es daher, dass nicht nur die Wahllisten, sondern auch die Wahlkreise einbezogen werden. Ein Vorschlag, wie ihn die Bündnisgrüne Partei in Brandenburg aktuell vorgelegt hat, lautet, die Anzahl der Wahlkreise zu halbieren und die Parteien zu verpflichten jeweils ein „Tandem“ aufzustellen. Den Wahlkreis würde dann das Tandem mit den meisten Stimmen oder, in einer anderen Variante, die Frau und der Mann mit den jeweils meisten Stimmen, vertreten. In eine ähnliche Richtung zielt auch ein Vorschlag des Bundestagsvizepräsidenten Thomas Oppermann zur Wahlrechtsrechtsreform ab.

Um eine Mehrheit im Bundestag für ein wie auch immer ausgestaltetes Paritätsgesetz organisieren, kommt, wie schon bei der Durchsetzung der Quote für die Aufsichtsräte großer Unternehmen, der parteiübergreifenden Zusammenarbeit der Parlamentarierinnen eine entscheidende Rolle zu. Zugleich sollten die zivilgesellschaftlichen Akteure nicht in ihren Aktivitäten nachlassen und eine breite öffentliche Debatte initiieren. Der Deutsche Frauenrat hat Anfang 2019 seine Kampagne gestartet; auch der Juristinnenbund hat Vorschläge erarbeitet, die jedoch vor allem auf das Parteiengesetz abzielen.

Letztlich müssen vor allem die Parteien selbst zum Kulturwandel bereit sein und erkennen, wie wichtig es für ihre Legitimität und wie auch für die Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie ist, bestehende Beteiligungs- und Aufstiegsbarrieren abzubauen. Diese Barrieren betreffen im Übrigen nicht nur die Bürgerinnen, sondern auch die jüngere Generation, sowie Menschen mit Migrationshintergrund oder aus nicht-akademischen Berufen. Die Paritätsdebatte fungiert daher nicht zuletzt wie ein Augen- und Türöffner: die Parteien wären über gesetzliche Vorgaben gefordert, die bestehende Vielfalt in der Gesellschaft in ihrer Mitgliedschaft wie auch in den Parlamenten endlich besser abzubilden.