Mehr als ein Symbol

Laura Gehlhaar

Drei Frauen auf einem Bild, sie sehen fröhlich aus, sie haben es geschafft. Am Foto von Angela Merkel, Annegret Kramp-Karrenbauer und Ursula von der Leyen kam gerade niemand vorbei. Drei Politikerinnen mit Macht in entscheidenden politischen Positionen. „So haben wir uns das Ende des Patriarchats aber nicht vorgestellt“, titelte die taz. Denn inhaltlich stehen alle drei Politikerinnen weder für Feminismus noch für Gleichstellungspolitik. Dennoch: Diese drei Frauen sind ein Symbol.

Sie zeigen, dass es möglich ist, Politikerin zu werden und an entscheidenden Stellen mitzuwirken, aktiv. Ganz selbstverständlich auch als Frau. Aber wer repräsentiert eigentlich mich, eine junge Frau mit Behinderung?

Im Politikbetrieb ändert sich langsam etwas, einzelne Landesregierungen verabschieden Paritätsgesetze. Viele Parteien setzen sich dafür ein, dass Politik die Gesellschaft abbildet. Was das Merkmal Geschlecht angeht, tut sich etwas. Was das Merkmal Behinderung angeht, leider nicht.

Im Bundestag sitzen 23 Abgeordnete mit einer Behinderung. Im Vergleich zur Bevölkerung fehlten damit 43 behinderte Menschen, um Repräsentativität zu erreichen. Vorbilder in der Politik mit sichtbarer Behinderung gibt es nur wenige. Als Malu Dreyer ihre MS-Erkrankung öffentlich machte, wurde ihr geraten, ihre Ämter niederzulegen und sich um ihre Gesundheit zu kümmern.

Ihr Körper wurde zum Politikum, ob sie wollte oder nicht. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es Mut braucht für ein politisches Amt mit einer sichtbaren Behinderung. Schon das allein ist tragisch. Denn der Zugang zu politischen Ämtern sollte barrierefrei sein. Auch mein Körper ist politisch. Mein Körper ist Projektionsfläche politischer Diskussionen und diskriminierender Entscheidungen oder Gesetze.

Im Jahr 1994 wurde der Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ in Artikel 3 des Grundgesetzes aufgenommen. Davon merke ich nur wenig. Ich habe in meinem bisherigen Leben unglaublich viel Ausgrenzung erfahren, von der Schule über die Arbeitswelt bis zu meiner Freizeit.

Manchmal arbeite ich in London und merke, welchen Unterschied andere Gesetze machen. Wenn ich in London bin, ist es wie eine Befreiung. Großbritannien geht anders mit dem Begriff Behinderung um. Sie haben sich dort gelöst vom medizinischen Begriff der Behinderung und sehen Behinderung als soziales Modell.

Es ist dort klar, dass Menschen von äußeren Umständen behindert werden. Zum Beispiel von baulichen Barrieren und anderen Diskriminierungen, die strukturell bedingt sind. Und wenn das so ist, beruft man sich auf das Antidiskriminierungsgesetz. Das macht unglaublich viel mit dem Selbstbewusstsein, denn dadurch wird klar: Meine Behinderung ist kein individuelles Problem. Meine Behinderung gehört auch all denen, die sie mit verursachen.

Wenn ich früher irgendwo nicht reinkam oder reingelassen wurde, habe ich mich umgedreht und bin traurig nach Hause gefahren. Heute stelle ich die Leute zur Rede und erhebe meinen Anspruch auf Teilhabe. Nur wenn es Gesetze dafür gibt, bekomme ich die Konsequenz zu meinem Vorteil zu spüren.

Eine wichtige politische Entscheidung wurde gerade in Deutschland verabschiedet: Das Wahlrecht für Menschen, die mit einem gesetzlichen Vormund leben. Diese Menschen können nun endlich von ihrem Grundrecht Gebrauch machen. Das sind Menschen, die unsere Gesellschaft mitgestalten. Und sei es nur durch ihre Anwesenheit. Durch ihr Leben hier in diesem Land. Genau diese Gruppe zählt auch, wenn wir von gesellschaftlicher Vielfalt sprechen.

Sollte ich selbst Politikerin werden? Ich habe oft darüber nachgedacht, stattdessen aber meinen Aktivismus zum Beruf gemacht. Ich habe mich dazu entschieden, für meine Rechte und Interessen zu kämpfen, mich selbst und andere behinderte Menschen zu repräsentieren, der Gesellschaft zu zeigen, dass wir da sind und einen Platz am großen Tisch, an dem Entscheidungen über unser Leben getroffen werden, verdient haben. 

In der Politik würde ich es den Leuten schwer machen. Sobald ich Machtstrukturen aufbrechen muss, damit sie inklusiv sein können, bekomme ich Widerstand zu spüren. Dieser Widerstand ist jetzt schon in meinem Arbeitsfeld kaum auszuhalten und braucht unheimlich viel Kraft. Ich halte anderen Menschen ihre eigenen Privilegien vor Augen und das kann weh tun. Dass ich Gleichberechtigung einfordere, bedeutet viel Arbeit für andere. Wie anstrengend wäre das für mich in der aktiven Politik? Daran würde ich vielleicht kaputt gehen.

Ich bin froh über jede mächtige Frau, die nicht nur ein Symbol ist, sondern eine Frau, die sich für Gleichstellung einsetzt. Und ich will mehr. Ich wünsche mir, dass die Vielfalt der Gesellschaft auch in der Politik abgebildet ist. Damit sich irgendwann nicht bloß drei Politikerinnen gemeinsam in die Kameras lächeln, sondern eine davon eine sichtbare Behinderung hat, ganz selbstverständlich.

 

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