Parität ist nur ein erster Schritt

Emilia Roig


Die aktuelle Debatte um Geschlechtergleichstellung in der Politik ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, dennoch besteht in der Diskussion oft ein Mangel an intersektionalem Verständnis dafür, was Vielfalt bedeutet und wie sie zu erreichen ist.

Ursächlich für den Mangel an Vielfalt in deutschen Parlamenten ist die Tatsache, dass manche Personen (weiße, cis-geschlechtliche, nichtbehinderte Männer) im Verlauf ihres Lebens Privilegien erhalten, die es ihnen erleichtern Machtpositionen einzunehmen, zum Beispiel in der Politik. Ein solches Privileg beinhaltet die positive Voreingenommenheit gegenüber Personen mit diesem Profil: ihre äußere Erscheinung wird implizit mit Vertrauenswürdigkeit, Professionalität und Kompetenz in Verbindung gebracht. Gleichzeitig werden Personen, die die oben genannten Identitätsmerkmale nicht aufweisen, diskriminiert: nicht nur auf der individuellen Ebene, sondern auch systematisch.

Eine Reaktion auf den Mangel an Geschlechterparität im Parlament ist die Einführung von Paritätsgesetzen in Brandenburg und Thüringen. Solche geschlechtsspezifischen Quoten sind Beispiele für Maßnahmen, die der strukturellen Benachteiligung von Frauen im gesellschaftlichen und politischen Rahmen entgegenarbeiten. Quoten sind keineswegs unproblematisch; ihre Voraussetzung ist, dass die Identität von Personen festgeschrieben wird. Sie teilen die Bevölkerung in Gruppen ein, was potenziell auch zum unfreiwilligen ‘Outing’ eines Identitätsmerkmals führen kann. Dennoch handelt es sich bei Quoten nicht lediglich um zusätzliche, umgekehrte Diskriminierung, sondern um ein Mittel gegen implizite Vorurteile. Damit ein höherer Anteil an Frauen im Parlament nicht nur symbolisch fungiert, sondern auch effektive Auswirkungen haben kann, müssen Quoten durch andere Maßnahmen ergänzt werden wie zum Beispiel Sensibilisierungskampagnen oder Anti-bias Trainings.

Es braucht eine intersektionale Perspektive

Bei der Gleichstellungsarbeit ist es sehr wichtig, die anderen Achsen der Diversität im gleichen Maße wie das Geschlecht zu beachten. Dazu gehören Hautfarbe, Ethnizität, Alter, Religion, Migrationshintergrund, Nicht/behinderung, Sexualität, Familienstand, Bildungshintergrund und vieles mehr. Die Vielfalt der deutschen Gesellschaft muss im Bundestag gespiegelt werden, dessen Abgeordneten schon laut des Grundgesetzes die “Vertreter des ganzen Volkes”[1] sein sollten. Die Vielfalt dient dazu, dass Individuen sich selbst, und ihre Interessen, als anerkannt und repräsentiert sehen, und dass Machtpositionen von Personen besetzt werden, die auch eigene Erfahrung mit struktureller Ungleichheit und Ausschlüssen haben und diese Probleme besser verstehen und angehen können.

Quoten, die Parität anstreben, bleiben ineffektiv, wenn nicht gleichzeitig feministische Werte vorwärtsgebracht werden. Hierbei ist es wichtig, zu verstehen, dass eine Frau nicht unbedingt feministischen Interessen vertritt. Ein höherer Anteil an Frauen in einer Partei wie AfD, die aktiv anti-feministische Maßnahmen fördert, bedeutet keineswegs einen Triumph der Gleichstellung. Unsere Konzeption der Parität muss sich vom Tokenismus entfernen: wenn Personen aufgrund bestimmter Merkmale (z. B. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Behinderung, Alter) symbolisch von Parteien einbezogen werden, um den Anschein von Gleichstellung zu erwecken, auch wenn keine bedeutungsvollen anti-patriarchalischen Maßnahmen eingeführt werden. Ohne eine Abschaffung des Patriarchats und eine Förderung von intersektionalen feministischen und anti-rassistischen Werten, besteht die Gefahr, dass die Sichtbarkeit von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen instrumentalisiert und von nationalistischen, anti-Islamischen Parteien ausgebeutet werden (Femonationalismus[2]). Ein Beispiel hiervon wäre die Stereotypisierung von muslimischen Personen als frauenfeindlich, was als Begründung für die Einführung von aggressiven Integrationsmaßnahmen wie z.B. Kopftuchverbote verwendet wird.

Vielfalt im Parlament ist ohne Zweifel wichtig und wünschenswert. Um den Einfluss von ausgegrenzten Personen in der deutschen Politik zu erweitern, müssen politische Maßnahmen, aber gleichzeitig auch eine feministisch-intersektionale Agenda in den Vordergrund gerückt werden.

 


[1] Katharina Brunner et.al. "Diese Menschen Fehlen Im Bundestag."

[2]Farris, Sara R. In the Name of Women’s Rights: The Rise of Femonationalism. Durham: Duke University Press, 2017.