INTERVIEW

Drei Fragen an...

Maria Noichl (SPD) ist seit 2014 Abgeordnete im Europäischen Parlament. Sie ist unter anderem Mitglied im Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter (FEMM), der sich unter anderem für die Aufarbeitung von den Fällen sexueller Belästigung gegenüber Mitarbeiterinnen im Europäischen Parlament einsetzt, die 2017 im Zuge von #metoo bekannt geworden waren. Wir haben sie gefragt, wie es um Gleichstellung in den Institutionen der EU bestellt ist.

 


 

#metoo im Europaparlament: Was hat sich seitdem getan?


Maria Noichl:

Ein Klima, in dem Frauen sich ohne Angst und Scham äußern können, in dem Frauen vorbehaltlos Gehör finden, schafft sich nicht über ein paar Wochen oder Monate. Gerade in einer solch großen Institution wie dem Europäischen Parlament verläuft Wandel oft träge. Leider müssen wir zudem feststellen, dass nicht alle politischen Fraktionen an so konkreten Maßnahmen interessiert sind, wie sie es in den ersten Wochen nach Beginn der Debatte hatten verlauten lassen.  Denn zunächst hatte das Plenum im Oktober 2016, als Vorwürfe sexueller Belästigung im EP bekannt geworden waren, mit großer Mehrheit in einer Entschließung schonungslose Aufklärung sowie eine Verbesserung der Beratungs- und Hilfestrukturen gefordert. Darin hatten wir Maßnahmen, wie den Einsatz von externen Expertinnen und Experten zur Aufarbeitung von Fällen (sexueller) Belästigung und eine obligatorische Schulung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Abgeordnete zu Achtung und Würde am Arbeitsplatz, gefordert. Schulungen werden mittlerweile angeboten - die Teilnahme ist aber lediglich freiwillig. Diese obligatorisch anzubieten ist am Widerstand der konservativen und rechten Abgeordneten im Plenum gescheitert. 

Einen konkreten Erfolg konnten wir dennoch feiern: Die neue Geschäftsordnung sieht nun zumindest vor, dass jeder/r Abgeordnete nach der kommenden Wahl einen sogenannten "Kodex für angemessenes Verhalten" unterschreiben muss. Wird dies nicht getan, können sie in Zukunft von der Übernahme wichtiger Ämter ausgeschlossen werden. 

Dies sind erste Schritte, die vor allem auf das Verhalten der Menschen hinwirken sollen. Wir müssen in Zukunft aber noch weitergehen, um die patriarchalen Machtstrukturen, die solche Fälle erst möglich machen, aufzubrechen.  


Antonio Tajani ist Präsident des Europäischen Parlaments, Jean-Claude Juncker der Europäischen Kommission, Mario Draghi der Europäischen Zentralbank - Wie weit sind die Institutionen der EU von Parität entfernt?


Noichl:

Betrachtet man die Anzahl der in den Institutionen beschäftigten Frauen und Männer, könnte man den Eindruck gewinnen, dass wir von Parität nicht weit entfernt sind. Dieser Eindruck schwindet jedoch, sobald man einen Blick auf die Verteilung der Geschlechter in höheren und Führungspositionen wirft. Dies sehen wir auch im Europäischen Parlament: Derzeit sind 36,1% der Abgeordneten Frauen, nur 2 von 12 GeneraldirektorInnen, 29,8% der DirektorInnen und 35,6% der AbteilungsleiterInnen. 

Auch die gestellte Frage zeigt dies sehr gut: die bekannten Gesichter, die die EU in der Welt vertreten, sind Männer. Dabei ist derzeit nur Federica Mogherini,die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, eine Ausnahme. 

Dies hat sich in den letzten Jahren nur langsam verändert. Machen wir in diesem Tempo weiter, dauert es noch Jahrzehnte, bis wir gerade in Führungspositionen von Parität sprechen können. Wir müssen daher dafür sorgen, dass dem Anliegen wieder mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Wichtig ist es, dafür Parteien zu wählen, die sich nicht nur auf dem Papier für Gleichstellung und Frauenrechte einsetzen.


Mit welchen aktuellen Initiativen möchte der FEMM-Ausschuss für mehr Gleichstellung sorgen?


Noichl:

In der Arbeit des Ausschusses geht es um einen ganzheitlichen Ansatz, der nicht nur eine oder zwei Prioritäten hat, sondern die strukturelle Ungleichheit zwischen den Geschlechtern auf allen Ebenen bekämpft. Für die Arbeit in der kommenden Legislaturperiode brauchen wir daher dringend eine neue Gleichstellungsstrategie auf EU-Ebene. Diese muss für die kontinuierliche und ambitionierte Arbeit der EU-Institutionen, aber auch der Mitgliedstaaten, wieder konkrete Ziele, Zeitrahmen und Sanktionsmöglichkeiten festlegen. Unser Ziel ist dabei, endlich tatsächliche Chancengleichheit zu schaffen und sämtlichen Formen von Diskriminierung ein Ende zu setzen. 

Die Arbeit dieser Legislaturperiode stand ganz im Zeichen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und dem Kampf gegen Gewalt gegen Frauen. Dabei war es uns wichtig, nach Rückzug der Mutterschaftsrichtlinie, den Ansatz einer aktiven Vaterschaft und flexibleren Elternschaft zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Dies ist uns nun in Teilen mit der Verabschiedung der Vereinbarkeitsrichtlinie gelungen - selbst, wenn wir dabei hinnehmen mussten, dass der Rat einige unserer Forderungen im Laufe der Verhandlungen verwässert hat.

Auch die am 13. Juni 2017 von der Europäischen Union unterzeichnete Istanbul-Konvention war ein wichtiger Schritt in dieser Legislaturperiode. Mit der Konvention verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten, Maßnahmen zum Schutz der Opfer, zur strafrechtlichen Verfolgung der Täter und zur Vermeidung geschlechtsspezifischer Verbrechen durchzuführen. Derzeit steht jedoch nach wie vor ihre Ratifizierung aus. Wir fordern ihre zügige Umsetzung, um Frauen endlich europaweit einheitlich zu schützen und Gewalt gegen Frauen zu beenden.