Die Gastartikel

Mehr Bürgermeisterinnen braucht das Land!

Dr. Uta Kletzing nimmt die politische Repräsentation von Frauen auf kommunaler Ebene in den Blick, zeigt auf, vor welchen Herausforderungen Politikerinnen stehen und welchen Anteil parteipolitische Strukturen daran haben.

ÜBER DIE AUTORIN

Dr. Uta Kletzing

Dr. Uta Kletzing, Psychologin und Politikwissenschaftlerin, ist seit Mai 2018 im Forum Politik und Gesellschaft der Friedrich-Ebert-Stiftung tätig. In der FES und langjährig davor, u.a. von 2005 bis 2018 als Director der EAF Berlin, befasst sie sich als Forscherin und Praktikerin mit Geschlechter- und Vereinbarkeitspolitik. Ihre 2017 veröffentlichte Doktorarbeit über Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Geschlechtervergleich schließt an ihre zahlreichen vorherigen Forschungsarbeiten zu Frauen in Führungspositionen und zur politischen Teilhabe von Frauen an.

Seit 100 Jahren dürfen Frauen auch Bürgermeisterinnen werden. Gerade die kommunalen Spitzenpositionen sind es jedoch, in denen die Geschlechterparität am allerwenigsten erreicht ist: Nur etwa jedes zehnte Rathaus und jedes zehnte Landratsamt haben eine Frau an der Spitze. Und auch hier gilt: Tendenz nicht etwa kontinuierlich steigend, sondern eher stagnierend und bei den Oberbürgermeisterinnen auch wieder sinkend.

Es stellt sich also die Frage: Wollen, können oder dürfen Frauen nicht in kommunale Spitzenpositionen?

Zum Wollen: 96 Prozent der hauptamtlichen Bürgermeister*innen sind mit ihrem Beruf sehr zufrieden bzw. eher zufrieden, 92 Prozent würden wieder Bürgermeister*in werden wollen – so eine repräsentative Befragung. Gerade auch Bürgermeisterinnen sagen häufig von sich: „Ich habe den schönsten Beruf der Welt“.

Neuere Forschungen gießen allerdings etwas Wasser in den Wein. Denn es gibt zahlreiche Aspekte, die für Frauen sowohl die Attraktivität des Amtes beinträchtigen als ihnen auch den Zugang dazu erschweren.

Zum einen macht die parteipolitische Konstellation in den Gemeindevertretungen der Kommunen, einen Unterschied für die Attraktivität des Amtes: Hier aus Bürgermeistersicht eine „eigene“, also mit dem eigenen Parteibuch übereinstimmende Ratsmehrheit vorzufinden (Homogenität), ist eine attraktive parteipolitische Konstellation. Hingegen gilt eine parteipolitische Konstellation, in welcher der politische Gegner im Rat die Mehrheit hat (Kohabitation) wegen des geringeren politischen Handlungsspielraums als eher unattraktiv. Interessanterweise werden Frauen eher in diesen unattraktiven Konstellationen Bürgermeisterinnen. Dazu an späterer Stelle mehr.

Zum anderen gilt die Berufsrolle Bürgermeister*in – wie Führungspositionen allgemein – als vergleichsweise schlecht vereinbar mit anderen Lebensbereichen bzw. mit dem Privatleben, weil es sich um einen sogenannten „anderthalb-Personen-Beruf“ handelt. Die Berufsrolle sieht eine Person vor, die im Vordergrund agiert und mindestens eine weitere halbe Person, die unbezahlt und flexibel hinter den Kulissen und als Begleitung bei Repräsentationsterminen zur Verfügung steht. Diese zeitlichen Anforderungen treffen jedoch auf geschlechtlich strukturierte Lebenssituationen: Hauptamtliche Bürgermeister bekommen in der Regel von ihren Partnerinnen den „Rücken frei“ gehalten; hauptamtliche Bürgermeisterinnen nicht.

Können Frauen Bürgermeisterin? Angela Merkel ist wohl das eindrücklichste Beispiel, wie sehr die Kompetenz einer Frau für eine Führungsposition zunächst angezweifelt wird, die diese Führungsposition dann langjährig und erfolgreich ausübt. Das Problem liegt also nicht in der Kompetenz, sondern in der Beurteilung dieser Kompetenz. Wir wissen mittlerweile aus der Forschung, dass die Eignungs- bzw. Leistungsbeurteilung das entscheidende „Nadelöhr“ für den Aufstieg von Frauen darstellt. Es gilt sehr genau hinzuschauen: Wer beurteilt? Mit welchen Verfahren? Nach welchen Eignungskriterien?

Die Personalauswahl für Bürgermeister*innen findet maßgeblich seitens der Parteien statt, welche die Vorentscheidung treffen, wer den Wähler*innen überhaupt zur (Aus-) Wahl steht. Bei dieser Vorauswahl lassen sich einige der typischen, Gender-bedingten Beurteilungsverzerrungen feststellen, die Bewerber um Kandidaturen privilegieren und Bewerberinnen benachteiligen. Entscheidend sind hier neben den mehrheitlich männlichen Beurteilenden und den in der Regel eher informellen Verfahren die Eignungskriterien. Dieses auf Männer zugeschnittene Profil wertet die Eignung von Frauen als Kandidatinnen ab und die Eignung von Männern auf. Bewerberinnen begegnet ein Misstrauensvorschuss, Bewerber erhalten einen Vertrauensvorschuss.

Für das Amt der „Bürgermeister*in“ sollte eine Art Stellenbeschreibung definiert werden, welche die Anforderungen und Aufgabenstellungen möglichst transparent macht und welche auch als Orientierung für die Bewerber*innen dienen kann. Darin sollten Kompetenzen und nicht soziodemografische Merkmale definiert werden. Diese dürfen auch nicht nur kurzfristig erforderliche Kompetenzen für einen erfolgreichen Wahlkampf umfassen, sondern müssen auch die mittel- und langfristigen Anforderungen für eine erfolgreiche Amtsausübung und Wiederwahl einbeziehen.

Im Übrigen verweisen die verschiedenen Handlungsarenen von Bürgermeister*innen –nämlich Rat, Verwaltung, Bürgerschaft und eigene Ortspartei/Ratsfraktion - auf die sehr vielfältigen Anforderungen und Betätigungsfelder. Diese machen möglicherweise auch einen zentralen Faktor der Attraktivität dieses Berufs und der eingangs erwähnten Amtszufriedenheit aus. Diese Vielfalt bildet sich jedoch in den gegenwärtigen Eignungskriterien und auch im üblichen Image des Bürgermeisterberufs noch viel zu wenig ab.

Eine weitere Hürde für die erfolgreiche Kandidatur von Frauen ist folgende, in der Forschung recht gut belegte Konstellation: Frauen dürfen in der Regel dann kandidieren, wenn sich kein männlicher Kandidat findet. Sie werden als Kandidatinnen für geeignet befunden, unabhängig von ihrer Qualifikation, wenn die Situation es hergibt: in diesem Fall, wenn die Parteien um einen männlichen Kandidaten verlegen sind. Eine solche „Verlegenheitssituation“ ist beispielsweise gegeben, wenn die Wahl aufgrund der parteipolitischen Präferenzen als aussichtslos gilt, oder wenn die Gemeinde sich in einem „trümmerhaften“ Zustand befindet. In Situationen mit (parteipolitisch bedingt) schlechteren Wahlchancen zu kandidieren, hat durchaus Folgen: Denn häufig werden Frauen in einer Ratskonstellation Bürgermeisterin, in welcher der politischen Gegner im Rat die Mehrheit hat und die Handlungsspielräume der Amtsinhaberin eingeschränkt sind.

Wie auch in anderen politischen Ämtern oder Mandaten, liegt also ein zentraler Schlüssel für die fehlende Geschlechterparität in den nachweislich nicht gleich verteilten Chancen auf eine Nominierung als Kandidat bzw. Kandidatin. Würde es für die Parteien gesetzliche Vorgaben zu Gleichstellung, z.B. in Form eines Paritätsgesetzes geben, kämen die Parteien nicht mehr darum herum, die ungeschriebenen Spielregeln zu ändern, die die Männer- und Männlichkeitsdominanz im politischen Raum hartnäckig aufrechterhalten. Mit diesen Spielregeln, wie sie dargelegt wurden, sind Frauen zwar „drin“, aber irgendwie auch immer noch und immer wieder draußen: also „ausgeschlossene Eingeschlossene“.

 

Literatur

Lars Holtkamp/Elke Wiechmann/Monya Buß: Genderranking deutscher Großstädte 2017. Nur 8,2 Prozent der Oberbürgermeister/innen sind weiblich, Studie im Auftrag der Heinrich Böll Stiftung, April 2017.

Uta Kletzing: Die ausgeschlossenen Eingeschlossenen. Wahlsituation und Regierungssituation von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern im Geschlechtervergleich. Fernuniversität in Hagen, 2017.

Lars Holtkamp/Sonja Schnittke: Die Hälfte der Macht im Visier – Der Einfluss von Institutionen und Parteien auf die politische Repräsentation von Frauen, Bielefeld, 2010

David Gehne: Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfalen, Wiesbaden, 2008.

Helga Lukoschat/Jana Belschner: Frauen führen Kommunen – Eine Untersuchung zu Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in Ost und West, Berlin, 2014.

Bertelsmann Stiftung/Deutscher Städtetag/Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hg.): Beruf Bürgermeister/in – Eine Bestandsaufnahme für Deutschland. Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, Gütersloh, 2008.

David H. Gehne: Die neuen Bürgermeister. In: Uwe Andersen/Rainer Bovermann (Hg.): Im Westen was Neues – Kommunalwahl 1999 in NRW, Opladen, 2002, S. 221-233.

Andreas Osner: Profil eines idealen Ratsmitglieds: Die „Eier legende Wollmilchsau“. Wie müssen ehrenamtliche Politiker(innen) sein? Was müssen sie können? In: Markus Wolfram/Andreas Osner (Hg.): Handbuch Kommunalpolitik – Das Standardwerk für Fraktionsvorstände und Bürgermeister (Loseblattsammlung), Berlin, 2008.

Jörg Bogumil/David H. Gehne/Lars Holtkamp: Gestaltungsfreiheit im Süden größer. In: Städte- und Gemeinderat (10), 2003, S. 26-28.

Timm Kern: Warum werden Bürgermeister abgewählt? Eine Studie aus Baden-Württemberg über den Zeitraum von 1973 bis 2003, 2. Aufl. Stuttgart, 2008.